Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Während die Schattenlichter nach dem Theaterbesuch nach Hause gehen, fängt der Abend für den Bühnenbildner vermutlich erst richtig an: In Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ im Schlossparktheater liegt am Stückende so ziemlich alles in Schutt und Asche — von den Möbeln über die Wände bis hin zum Fußboden der Kleinbürgerwohnung. Da wird das Aufräumen und Wiederherstellen der Bühne eine Weile dauern.

Dabei hätte es der schönste Tag im Leben von Braut und Bräutigam werden sollen … Aber dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt: Nicht nur langweilte der Brautvater die Gäste mit unpassenden und endlosen Geschichten, berechnete die Mutter und Köchin die Schlagsahne zum Pudding zu knapp, stritten sich die Gäste, deckten das Geheimnis der Braut auf, sangen zotige Lieder und verließen zum heimlichen Vögeln die Party; auch sind sich am Ende die Brautleute nicht mehr grün. Wenn die Gäste da sind, ist es nicht schön, aber wenn sie gehen, ist der dann beginnende Alltag womöglich noch schlimmer.

Das Stück, ein früher Einakter von Bertolt Brecht, ist 99 Jahre alt. Es hielt damals wie heute dem Bürgertum den Zerrspiegel vor, prangerte Geiz und Doppelmoral an und zeigte ausschließlich unsympathische Charaktere. Sinnbildlich für das Kleinbürgerliche ist das Bühnenbild: ein irrsinnig enger, morscher Kasten, in dem sich die Gäste aneinander vorbeiquetschen müssen, kein Platz zur Entfaltung ist und es so eng ist, dass die Mutter mit dem Essenstablett fast die Gäste erschlägt und die Festredner kaum Platz haben, sich für ihre ohnehin sinnlosen Reden zu erheben. Ebenso sinnbildich sind die Möbel des Brautpaares, die der Bräutigam selbst erschaffen hat: Anfangs sind sie der Stolz von Braut und Bräutigam, doch dann stellt sich heraus, dass am Leim gespart wurde und alles nach und nach zusammenbricht. Dem Kleinbürgertum fehlt das Fundament, der Ehe fehlt die Grundlage.

Dieselbe Inszenierung stand ganze 17 Jahre lang — zuletzt sogar mit demselben Schauspielerteam — auf dem Spielplan der Brecht-Heimatbühne, des Berliner Ensembles. Dort strich es der neue Intendant Oliver Reese vom Spielplan, und nun nahm es Dieter Hallervorden ins Programm seines Steglitzer Hauses auf. Heute war es ausverkauft, und das Publikum wirkte ausnahmslos zufrieden und erheitert. Für die morgige Vorstellung (Sonntag, 15.4.2018, 18 Uhr) gibt es noch Karten. Wir können versichern: Auch in der letzten Reihe sitzt man bequem und kann alles gut sehen und hören.

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Ein ungewöhnlicher Titel

Ein ungewöhnlicher Titel

Im März gehört die Bühne mal nicht dem Theater, sondern den Schriftstellern: Das diesjährige Festival „Literatur: Berlin“ hält vier Wochen lang bis zum 26. März an mehreren Orten in Berlin die unterschiedlichsten Autorenlesungen bereit.

Vier Schattenlichter besuchten eine Lesung des 1969 in der DDR geborenen Schriftstellers André Kubiczek in der Bibliothek am Wasserturm in Prenzlauer Berg, bei der der Autor gemeinsam mit dem Rowohlt Verlag seinen neusten Roman „Komm in den totgesagten Park und schau“ vorstellte.

Warum gerade Kubiczek? Ganz einfach: Über dessen zweitjüngsten Roman hatten wir uns im vergangenen Sommer gemeinsam schiefgelacht. Dort wird — ein bisschen wie bei „Tschick“ — ein pubertierender Jugendlicher von seinen Eltern in den Sommerferien mehrere Wochen lang alleine zu Hause gelassen — mit einem Haufen Geld in der Hand und der Ansage, sich schöne Ferien zu machen. Allerdings spielt Kubiczeks Tschick in der DDR der 1980er Jahre und heißt „Skizze eines Sommers“.

Auf eine ähnlich skurrile und witzig erzählte Handlung darf man sich offenbar auch bei „Komm in den totgesagten Park und schau“ freuen: Beim Festival präsentierte André Kubiczek zu jeder seiner drei Hauptfiguren einen mitreißenden Lesungsabschnitt. Seine Art, eigentlich trostlose und bedrückende Szenen so zu schildern, dass man sich vor Lachen die Seiten halten muss, ist sehr erfrischend und spricht die jüngeren wie auch die älteren Schattenlichter gleichermaßen an — ob es sich um den Kontrollbesuch des Jugendamts oder um den Besuch einer Plattenbausiedlung einer Kleinstadt handelt.

Wie es eigentlich zu dem Titel des Romans gekommen sei, fragt der hervorragend vorbereitete Rowohlt-Lektor den Autor. Kubiczek lacht und sagt: „Das sollte man besser nicht erzählen.“ Natürlich erzählt er es dann doch: Da ein Verlag so gut wie nie den Titelvorschlag der Autoren übernehme, geben sich die Autoren keine große Mühe mit dem Ersinnen von Titeln, sondern geben ihrem Buch lediglich einen Arbeitstitel. Kubiczek mag Lyrik, und so wählte er als Arbeitstitel den Titel eines Gedichts des Lyrikers Stefan George. Und es geschah, was sonst nie geschieht: Der Verlag fand den Titel großartig passend, und so blieb es dann dabei.

Über Kubiczeks „Skizze eines Sommers“ wird an dieser Stelle hoffentlich bald zu lesen sein: Dieses Buch hat es nämlich auf die Bühne des Hans-Otto-Theaters in Potsdam geschafft, wo wir es uns bald ansehen wollen. Potsdam — ein idealer Ort, denn nicht nur wurde dort schon „Tschick“ toll inszeniert, sondern Potsdam ist auch der Schauplatz der Handlung von „Skizze eines Sommers“.
Was die Schattenlichter empfehlen:

  1. Die nächste Lesung von André Kubiczek — und zwar am Donnerstag, 15. März, um 19 Uhr in Leipzig, Schaubühne Lindenfels, Grüner Saal, Karl-Heine-Straße 50
  2. „Skizze eines Sommers“ im Hans-Otto-Theater in Potsdam — an drei Terminen im März und zwei Terminen im April
  3. Viele Lesungen für jeden Geschmack beim Literaturfestival in Berlin — Programm unter www.literatur.berlin
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Emil ist immer noch aktuell

Emil ist immer noch aktuell

Das Musiktheaterstück „Emil und die Detektive“ des ATZE-Musiktheaters sahen die Schattenlichter nun schon zum zweiten Mal. Nun wollen wir nicht unseren Theater-Tipp von 2017 wiederholen – dafür braucht Ihr nur eifrig zu scrollen -, sondern sagen, was uns zusätzlich aufgefallen ist:

  1. Manche Lieder werden zum Ohrwurm, wenn man sie zum zweiten Mal hört. Also sollte man öfter mal ein Stück zweimal sehen.
  2. Wer ein Stück zum zweiten Mal sieht, wird nicht mehr ganz so sehr in den Bann der Handlung gezogen. Dafür hat er mehr Kapazitäten frei, um sich auf die Reaktion des Publikums zu konzentrieren und darauf zu achten, worauf das junge Publikum am meisten abfährt: Am meisten lieben Kinder es, wenn bösen Obrigkeitsmenschen mal so richtig die Meinung gegeigt oder ein Streich gespielt wird. Dann springen die Kinder auf ihren Sitzplätzen auf und nieder und lachen schallend. Sehr beliebt sind auch Szenen, die die Aktivität des Publikums herausfordern: Als Emils Aufrichtigkeit angezweifelt wird, rufen Kinder aus dem Publikum, dass Emil Recht habe, und als ihre Rufe ignoriert werden, rufen sie noch lauter.
  3. Erich Kästner ist immer noch aktuell. Themen wie Freundschaft, Ehrlichkeit und Mut sind zeitlos.

Wir empfehlen nach wie vor: Hingehen! Das Stück läuft im März fünfmal und im April zweimal. Das Theater hat auch andere vielversprechende Titel auf dem Spielplan, beispielsweise ist eine Premiere über die junge Pakistanerin Malala angekündigt.

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Sechs Theaterbesuche in einem Monat …

Sechs Theaterbesuche in einem Monat …

Der Januar übertrifft alles bisher Dagewesene, seit wir diese Theater-Tipps bei Facebook und auf der Schattenlichter-Homepage veröffentlichen: Anfangs fragte ich mich, ob ich wohl oft genug ins Theater gehe, um monatlich einen Tipp schreiben zu können. Und nun sind es in diesem Monat sechs Theaterbesuche! Dazu könnte ich im Januar noch zwei Konzert-Tipps geben, aber zum einen verstehe ich zu wenig von klassischer Musik, um mich darüber öffentlich zu äußern, und zum anderen sind die Schattenlichter ja eine Theatergruppe!

Der vermutlich wirklich letzte Theatergang im Januar führte zwei Schattenlichter der fast ersten Stunde (Gruppenmitglieder seit 1986 und 1988) zu „Marlene“ ins Renaissance-Theater, wo sie allerdings den Altersdurchschnitt auffallend senkten. Das Theaterprogramm versprach Judy Winter, die „in die Rolle der großartigen Diva Marlene Dietrich“ schlüpfen und „im Paillettenkleid und Schwanenmantel ihr Publikum verzaubern“ werde.

Das tat sie durchaus — und, wir zu erwarten war, sehr authentisch und stimmungsvoll. Noch viel besser war allerdings, dass sich die Darbietung nicht auf die bekannten Dietrich-Darbietungen beschränkte: Rund eine Stunde vergeht, bis schließlich die Diva im Paillettenkleid die Bühne betritt. Zuvor lernen wir sie von einer ganz anderen Seite kennen: in der Garderobe, beim Drangsalieren ihrer Assistentin, beim Lesen von Fanpost und Drohbriefen, beim Ausleben von Kontrollzwang und Putzfimmel, bei cholerischen Anfällen und heiteren Telefonaten, schwankend zwischen Egomanie und Selbstzweifeln …

Wir erfahren, dass die Dietrich mit Werkzeug und Glühlampen reiste und durchaus in der Lage war, beides zu bedienen. Und wir werden Zeuge eines Interviews mit der New York Times, das der beste Monolog ist, den ich seit langem im Theater gesehen habe (außer natürlich dem Monolog von Claude in „Der Vorname“; überzeugt Euch selbst vom 22. bis zum 24. Februar).
Dieser ausführliche Blick hinter die Kulissen trägt dazu bei, den darauf folgenden glamourösen Bühnenauftritt von Marlene mit anderen Augen zu sehen — ein raffinierter Kniff der Stückautoren.

Wir empfehlen Jung und Alt: Hingehen — und mit einem Ohrwurm nach Hause gehen! Noch täglich bis 28. Januar sowie am 3. und 4. Februar.

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Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Sobald man eine Schule betritt, kann man etwas lernen. Das stimmt heute Abend auf jeden Fall — und morgen Abend ist gleich noch einmal die Gelegenheit dazu. Denn gerade zeigt der Wahlpflichtfach-Kurs „Darstellendes Spiel“ des Steglitzer Paulsen-Gymnasiums das Stück „Vineta“.

Lernen kann man zum einem vieles über den Autor dieses Stücks, den zumindest die beiden heute anwesenden Schattenlichter nicht kannten: Jura Soyfer. Wie wir erfahren, war er ein Arbeiterdichter, der in den 1930er-Jahren in Wien lebte und Gedichte sowie eine Reihe von satirischen Theaterstücken schrieb — darunter „Vineta“. Soyfers Stücke wurden in Wiener Caféhäusern aufgeführt, die maximal 49 Sitzplätze hatten. Ab 50 Plätzen galt das Zensurgesetz, und da zumindest „Vineta“ kein unpolitisches Stück ist, lässt sich nachvollziehen, warum Soyfer sich in der damaligen Zeit nicht der Zensur aussetzen wollte.

Leider reichte diese Vorsichtsmaßnahme nicht aus: Im März 1938 wurde Soyfer an der Schweizer Grenze verhaftet. Die österreichische Polizei übergab ihn der SS, die ihn ins Konzentrationslager Dachau brachte. Von dort wurde er ins KZ Buchenwald geschickt, wo er im Februar 1939 starb.
Lernen kann man auch allerlei über die Stadt Vineta, die der Sage nach wegen der Verschwendungssucht und wegen der mangelnden Demut ihrer Bewohner vom Meer verschluckt wurde. Dies soll sich — laut Wikipedia — im Mittelalter an der pommerschen Küste zugetragen haben. In Soyfers Stück erzählt ein versoffener alter Seemann die Geschichte, wie er selbst als junger Taucher auf den Meeresgrund sank und unbeabsichtigt in Vineta landete. Das Stück springt in die Vergangenheit; ab nun ist die Szenerie in blaues Licht getaucht, und fischartige Wesen mit Schwimmbrillen und Seifenblasen bestimmen das Bild.

Bis dahin gibt es nichts, was in der Nazizeit hätte zensiert werden müssen. Aber nun geht’s los: Denn die Bewohner Vinetas zeichnen sich allesamt durch sinnloses Tun und durch eine unsagbare Gleichgültigkeit aus. So regelt ein Polizist dauertrillerpfeifend den nicht verhandenen Verkehr, eine Frau wartet auf ein Boot, das „gestern“ gefahren ist, und ein Beamter stempelt sinnlos Papiere. „Wenn Sie morgen nicht kommen können, dann kommen Sie gestern, so zwischen fünf und zwei!“, heißt es. Der tauchende Seemann versucht alles, um die Gleichgültigen aufzurütteln, aber er scheitert an ihrer Willenlosigkeit. Hier Parallelen zur damaligen Gesellschaft und zu den damaligen Behörden zu ziehen, fällt nicht schwer.

Ein wirklich interessanter Theaterabend — kurzweilig und mit nur einer Stunde auch sehr kurz! „Vineta“, am morgigen Donnerstag, 25.1., um 19:30 Uhr; der Eintritt beträgt 4,- Euro, ermäßigt die Hälfte. Angst vor Ausverkauf muss man nicht haben; die Aula des ehrwürdigen Gebäudes ist riesig.

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Einfach mal die Stühle umstellen

Einfach mal die Stühle umstellen

Eine veränderte Perspektive tut immer gut: Das bewies heute die Jugendtheatergruppe der Wilmersdorfer Auen-Gemeinde mit ihrer Aufführung „Der Besuch“, angelehnt an Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Dieses vermutlich berühmteste Theaterstück eines Schweizer Autors haben die Schattenlichter schon mehrfach gesehen — auf der eigenen Bühne 1989 (drei Schattenlichter von damals sind heute noch in der Gruppe), später im Renassance-Theater, im Schlosspark-Theater und als Schüleraufführung.

Aber erst die Jugendtheatergruppe der Auen-Gemeinde kam auf die Idee, das Publikum rund um einen zentralen Platz zu setzen, auf dem sich das skurrile Kleinstadtgeschehen zwischen Krämerladen und Gasthof abspielt. So fühlt sich der Zuschauer nicht nur als Beobachter, sondern vor allem als Beteiligter, als mitschuldig werdender Bürger der Stadt Güllen.

Das Stück handelt von einer betagten Millionärin, die als mittellose, schwangere 17-Jährige aus dem Ort vertrieben worden war, im Ausland reich wurde und nach 50 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um sich an den Menschen zu rächen, die ihr das Leben in Güllen schwergemacht hatten.

Die Handlung der heutigen Aufführung orientiert sich an einer Verfilmung aus dem Jahr 1964, die ebenfalls nur kurz „Der Besuch“ heißt. Auch die Namen der Charaktere lehnen die Wilmersdorfer an den Film an. So heißt Alfred Ill, die große Jugendliebe der heute alten Dame, Sergej Miller. Auch das Ende ähnelt dem der Filmhandlung: Wie Wikipedia verrät, wollte man auch in der Filmproduktion Alfred Ill von den „lieben“ Mitbürgern aus Geldgier umbringen lassen, aber der Produzent, die „20th Century Fox“, bestand auf einem „Happy End“. Was daran „Happy“ ist, muss uns zwar erst noch erklärt werden, aber ein kluges Ende ist es allemal.

Die 16 Jugendlichen meistern das große Stück sehr gut und schaffen es mehrfach, dass sich echte Beklommenheit und Betroffenheit im Publikum breitmachen. Immer wieder rufen Szenen zugleich Lachen und Grauen hervor — genau so, wie der Autor es gewollt hat.

Klug ist es vom Theater-Team der Auen-Gemeinde, die eigentlich alten Bürger der Stadt sowie ihre Besucherin nicht so alt zu machen, wie sie vom Autor erdacht wurden, sondern im mittleren, berufstätigen Alter anzusiedeln. So liegt das Geschehen, an das sich die Besucherin erinnert, nur 20 Jahre zurück. Das heißt, dass die jugendlichen Schauspieler eher 40-Jährige als 70-Jährige spielen müssen, was ihnen naturgemäß leichterfällt. Auch ist die alte Dame doppelt besetzt; die beiden Schauspielerinnen treten abwechselnd auf, bis die alte Dame schließlich so viel Macht gewonnen hat, dass beide Darstellerinnen zeitgleich und mit doppelter Wucht erscheinen. Darauf muss man erst mal kommen!

Die letzte der drei Aufführungen findet am morgigen Sonntag, 21.1., um 19 Uhr statt. Acht Schattenlichter sagen „Hingehen!“ und danken der Auen-Gemeinde für einen kurzweiligen Abend.

Großer Auen-Saal, Wilhelmsaue 118 a, Eintritt frei (Spende erbeten).

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Theater auf dem Jakobsweg

Theater auf dem Jakobsweg

„Wenn Deutsche über Grenzen gehen“ heißt das aktuelle Kabarett-Programm in der Distel. Es bietet zwei Stunden ausgesprochen kurzweilige Unterhaltung, die mit jeder Menge politischen und ökologischen Stellungnahmen gewürzt ist.

Die Rahmenhandlung bildet eine Wanderung dreier grundverschiedener Charaktere auf dem Jakobsweg. Vom schlechten Wetter mehrere Tage lang in eine enge Hütte gezwungen, lernen sie sich notgedrungen recht gut kennen — gegen den Willen der einen und zur großen Freude der anderen Pilger.

Die Betrachtung der Personen mit ihren Macken macht Spaß, hätte aber nicht genug Potenzial für einen ganzen Abend. Das haben die Kabarettmacher weise erkannt. Daher lassen sie die Charaktere aus ihren eigentlichen Rollen ausbrechen und so manches kluge und witzige Gespräch führen, das zu ihrem Charakter nicht passen würde, aber für einen gelungenen Abend unerlässlich ist.

Neben dem tollen Programm sind auch die Gesangseinlagen das Eintrittsgeld wert — mit beachtlichen Stimmen, guten Texten und einfallsreichen Choreografien.

Fünf Schattenlichter sagen: Hingehen!

Wieder vom 12. bis zum 17. Februar und vom 26. Februar bis zum 2. März 2018. Zum Glück gibt es keine terminlichen Überschneidungen mit den Aufführungen von „Der Vorname“!

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Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Überlegt mal, welcher bekannte zeitgenössische Filmschauspieler geeignet wäre, um im Theater einen überzeugenden Schuster Wilhelm Voigt bzw. den „Hauptmann von Köpenick“ zu spielen? Wer kann anständig berlinern und schlaksige, einfache Unterschichttypen mit Herz spielen, die zwar eigentlich die Dauerloser sind, aber moralisch die Nase vorn haben?
Genau, da fällt nicht nur den Schattenlichtern zuerst Milan Peschel ein, sondern auch dem Deutschen Theater. Am 21. Dezember war Premiere von Carl Zuckmayers berühmtesten Stück, und gestern haben es auch vier Schattenlichter im ausverkauften Haus gesehen.

Wie erwartet, ist Milan Peschel die Idealbesetzung: Er rebelliert erst zaghaft, dann immer massiver gegen die Engstirnigkeit preußischer Beamter, bis er sie schließlich mit ihren eigenen Waffen schlägt, indem er ihre Obrigkeitshörigkeit ausnutzt. Das schafft er mit einem umfangreichen Repertoire — von verständnislos und dümmlich über schmollend und verzweifelt bis hin zu gewitzt und erhaben.

Die Inszenierung legt das Stück allerdings nicht zu seiner Originalzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, sondern legt sich nicht fest. Manche Dialoge sind höchst aktuell und beziehen sich auf Menschen von heute, andere wiederum sind nur im alten Preußen denkbar. Offenbar soll so die Zeitlosigkeit des Stücks gezeigt werden.

Einige Aktualisierungen sind dabei witzig und originell geraten, beispielsweise wenn sich Voigts Kumpanen ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen verdienen. Andere Szenen hingegen verlieren durch die Zeitlosigkeit an Stärke, beispielsweise der Tod der jungen kranken Untermieterin von Voigts Schwester, der die Verhältnisse im Berlin der 1900er-Jahre zeigt, aber nicht in der heutigen Großstadt. Auch die Militärerziehung im preußischen Knast, die Voigt die Kenntnisse vermittelte, die er benötigte, um seine Köpenickiade durchziehen zu können, ist in einem heutigen Gefängnis nicht denkbar.

Auch das Bühnenbild legt sich nicht fest: Die dargestellten Häuserkulissen sind teils modern und als das DB-Gebäude am Potsdamer Platz und die heruntergekommene Rentenversicherung in Wilmersdorf zu identifizieren, andere sind Gründerzeitfassaden oder DDR-Platten, und wieder andere sind phantasievoll-irreal wie die tulpenverzierte Wohnung von Voigts Schwester und ihrem Mann, die man als Sehnsuchtsort von Voigt interpretieren kann, als heile Welt. Das kann man machen, aber wir können uns auch bessere Lösungen vorstellen.

So sehr sich die Schattenlichter eine eindeutigere zeitliche Festlegung gewünscht hätten, so gut gefiel ihnen dennoch die Beweglichkeit des Bühnenbilds. Die Häuserfassaden werden ständig — oft direkt von den Schauspielern — über die ansonsten leere Bühne geschoben; sie werden zu engen Gässchen oder weiten Plätzen kombiniert, und im Inneren der Gebäude befinden sich die Wohnungen, Läden, Absteigen und Amtsstuben.
Während der Szenenwechsel entstehen keine Pausen, sondern hinter den Kulissen wird weitergespielt, und eine Kamera projiziert das Gespielte auf die Hausfassaden. Was leicht wirkt, muss eine Wahnsinnslogitik in sich haben!

Einige Kostümideen gehören hier noch beschrieben, da sie dem Publikum ausnehmend gut gefielen:

– Die für das Geschehen zentrale Uniform schillert und glänzt in Blau, Rot, Silber und Gold.

– Die Bewohner der Tulpenwohnung tragen Kleidung mit ebensolchem Tulpenmuster.

– Und für die Darstellung der dicken Bürgermeisterfamilie schlüpfen drei normal gebaute Schauspieler in gruselige Fettmachkostüme. So lustig!

Mit 140 Minuten ohne Pause ist das Stück recht lang geraten. Für unseren Geschmack hätten die gefilmten Szenen kürzer ausfallen können, so dass man die gewonnenen 20 Minuten für eine Pause hätte nutzen können. Das Publikum hätte sicherlich gerne die Zeit genutzt, in der Wilhelm Voigt in der Stückmitte wieder einmal zehn Jahre „sitzen“ muss, um selbst mal kurz nicht zu sitzen, sondern sich in dem hübschen Theatergebäude die Beine zu vertreten und sich über das Gesehene zu unterhalten. Theater lebt schließlich auch davon, dass das Publikum darüber spricht.

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Mit „Kunst“ ins neue Jahr

Mit „Kunst“ ins neue Jahr

Am Silvesterabend hatten die Schattenlichter bei ihrem Theaterbesuch ein Déjà-vu: Wie am 29.12. waren sie in einem Theater bei der letzten Abendveranstaltung des Jahres in diesem Haus, und wie am 29.12. trat vor Stückbeginn der – jeweils neue – Theaterleiter vors Publikum, um eine Ansage zu machen.

Diesmal war es das Berliner Ensemble, und der seit Beginn der Spielzeit neue Intendant Oliver Reese kündigte an, dass sich einer der drei Schauspieler beim Skifahren einen doppelten Kreuzbandriss zugezogen habe, trotzdem auftreten werde, aber einige körperlich herausfordernde Szenen modifiziert werden mussten.

Den ganzen Abend über konnten die Schattenlichter nicht erkennen, welcher der drei der Verletzte war. Unglaublich – oder, da die Handlung in Paris spielt – „Châpeau“!

Auch das Stück insgesamt war unglaublich gut: Es handelt sich um „Kunst“ von Yasmina Reza, eine neue Inszenierung im Berliner Ensemble. Die Handlung erinnert ein wenig an „Der Vorname“, den die Schattenlichter ja derzeit proben: Langjährige gute Freunde treffen sich, und anhand eines Streits entwickeln sich weitere Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die lange unterdrückte Gefühle offenbaren und manches zutage fördern, das besser ungesagt geblieben wäre.

In „Kunst“ entzündet sich der Streit an einem Gemälde, das einer der drei Freunde für unfassbare 100.000 Euro gekauft hat und das für seinen Freund einfach nur eine weiße Fläche darstellt. Ist es nun „viel mehr als weiß“ oder „eine riesige weiße Scheiße“? Kurzweilig wird diskutiert, und das Publikum folgt dem Geschehen erheitert und gebannt.

Wie so oft gibt es auch hier etwas, das die Schattenlichter in ihre eigene Inszenierung mitnehmen können: So unterschiedlich die Meinungen der drei Freunde sind, hat man Mühe, sich vorzustellen, warum sie jahrelang beste Freunde gewesen sein sollten. Es lässt sich weder erahnen, was die drei jemals verbunden haben könnte, noch, wo und wie sich ihre Biografien gekreuzt haben könnten. Wir werden bei den Proben für „Der Vorname“ versuchen, den Freundschaftsaspekt anfangs stärker zu betonen.

Die Schattenlichter wünschen allen Theaterfreunden – ob mit oder ohne Kreuzbandriss – ein glückliches, schönes und gesundes neues Jahr! Und wir empfehlen „Kunst“ ausdrücklich! Für Sonntag, den 28. Januar 2018, gibt es noch Restkarten. Nichts wie kaufen!

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Das Jahr klingt aus mit „Fahr mal wieder U-Bahn!“

Das Jahr klingt aus mit „Fahr mal wieder U-Bahn!“

Der letzte Theaterbesuch des Jahres führte drei Schattenlichter ins GRIPS Theater. Da es sich um die letzte Abendvorstellung des Jahres handelte, nutzte der neue Theaterleiter Philipp Harpain die Gelegenheit für eine kurze Ansprache: Das Theater hat in diesem Jahr drei Theaterpreise abgeräumt und wird voraussichtlich noch bis Silvester die bisher unerreichte Marke von 90.000 Besuchern im Jahr knacken. Toll!

Die letzte Abendveranstaltung – „Linie 1“ – war jedenfalls wieder einmal ausverkauft, obwohl es sich immerhin schon um die 1.810. Vorstellung des Musicals handelt. Das Stammpublikum hat seine Freude daran, einige dezente Veränderungen zu entdecken: Einige Musikstücke wurden leicht aktualisiert und einige Textstellen verändert. Sogar einen veränderten Requisitenumbau haben wir entdeckt! So achtet das GRIPS darauf, dass das Erfolgsstück nicht irgendwann reif für die Mottenkiste wird.

Auch drei neue Gesichter waren im „Linie 1“-Team zu entdecken: Es gab mal wieder ein neues „Mädchen aus Westdeutschland“ – die müssen ja immer jung und unschuldig sein und daher alle paar Jahre neu besetzt werden. René Schubert, aus vielen anderen GRIPS-Stücken bekannt, spielt nun auch bei „Linie 1“ mit und ist als Jugendlicher mit Walkman ebenso überzeugend wie als bauchfrei gekleideter „Märchenprinz“. Bei dessen Auftritt muss sogar die Darstellerin des Wessimädchens kurz lachen. Nicht zuletzt hat auch die Band „No Ticket“ einen neuen E-Gitarristen – offenbar eine Vertretung für Michael Brandt -, der sogar den größten „Linie 1“-Ohrwurm zusammen mit dem obercoolen „Bambi“-Darsteller singen darf und das hervorragend macht.

Daneben spielen auch die bekannten Gesichter ihre Rollen unverbraucht und top motiviert. Aus dem Uraufführungsemsemble von 1986 ist nach wie vor Dietrich Lehmann dabei, inzwischen 77 Jahre alt. Man erzählt sich, er habe noch keine einzige der 1.810 Aufführungen verpasst. So einen zuverlässigen und überzeugenden Arbeitnehmer wünscht sich jeder Chef!

Lustig, dass einen Tag vor dem Schattenlichter-Theaterbesuch auch der „Tagesspiegel“ über die „Linie 1“ berichtet. Wenn ein Theaterstück an einem realen Ort spielt, den man aus eigenem Erleben kennt, hat das immer einen besonderen Charme, weil man mitreden kann und sich involviert fühlt. Die Handlung von „Linie 1“ ist auf „1986 West-Berlin“ datiert. Damals fuhr die U-Bahn-Linie 1 von Ruhleben über den Zoo zum Schlesischen Tor. In der Zeitung ist nun zu lesen:

„Die BVG will der „Linie 1“ erneut an den Kragen. Um die Züge der U 3 aus Krumme Lanke, die bisher im Bahnhof Nollendorfplatz enden, bis zur Warschauer Straße fahren lassen zu können, soll es auf der U 1 zur Uhlandstraße weniger Fahrten geben. Bereits 1993 hatte die BVG die Linienführung verändert. Seither kann das Mädchen vom Land nicht mehr wie im Theaterstück am Bahnhof Zoo in den Zug der Linie 1 einsteigen; hier fährt seither die U 2. Als Volker Ludwig sein 1986 uraufgeführtes Stück von dem Mädchen, das in der U-Bahn seinen Schwarm sucht, schrieb, verkehrte die Linie 1 noch zwischen Ruhleben und Schlesisches Tor. 1993, nachdem die durch den Mauerbau entstandene Lücke im Netz zwischen den Bahnhöfen Gleisdreieck und Potsdamer Platz wieder geschlossen war, hatte die BVG schon einmal die „Linie 1“ geschrumpft. Mit dem Lückenschluss war die Verbindung von Pankow nach Ruhleben mit den wichtigen Zwischenstationen Alexanderplatz und Zoologischer Garten zwar die bedeutendste im Netz, sie wurde aber doch nur zur U 2. Die „Linie 1″ sollte zumindest auf ihrem Hauptabschnitt weiter durch Kreuzberg fahren — wie im Musical. So verbunden war die BVG immerhin mit Volker Ludwigs Werk. (…) Die BVG fährt bei den Fahrgastzahlen von Rekord zu Rekord. Nach dem Knacken der Milliardengrenze im Jahr 2016, als sie 1,045 Milliarden Fahrten zählte, waren es im vergangenen Jahr nach ersten Prognosen rund 1,06 Milliarden Fahrten. Und so kamen die Planer jetzt auf die Idee, wieder mehr Züge auf die Hochbahn durch Kreuzberg zu schicken: In den Hauptverkehrszeiten sollen die Bahnen der U 3 alle fünf Minuten von der Krummen Lanke bis zur Warschauer Straße fahren. Dafür soll auf der U 1 zwischen Uhlandstraße und Warschauer Straße nur noch alle zehn Minuten ein Zug kommen. Auf dem nachfragestärksten Abschnitt zwischen Wittenbergplatz und Warschauer Straße, der von beiden Linien befahren wird, gibt es dadurch aber einen Drei- bis Vier-Minuten-Takt. Weiterer Vorteil: Studenten an der Freien Universität, die in Kreuzberg oder Friedrichshain wohnen, erhalten mit der verlängerten U 3 wieder eine umsteigefreie Verbindung. Die U 3 soll nach den bisherigen Überlegungen nicht erneut umbenannt werden, auch wenn die U 1 nur noch alle zehn Minuten fährt — und damit so selten wie die Züge auf den nachfragearmen Linien U 4 (Nollendorfplatz– Innsbrucker Platz) oder U 55 (Brandenburger Tor–Hauptbahnhof). Sollte der Senat den Plänen zustimmen, könnten sie Anfang Mai umgesetzt werden, sagte BVG-Sprecher Markus Falkner.“

Zum Artikel wurde auch eine Grafik veröffentlicht. Merkwürdig ist daran, dass ausgerechnet der ehemalige Endbahnhof der „Linie 1“, Schlesisches Tor, nicht beschriftet wurde (neben dem für die alte „Linie 1“ irrelevanten Bahnhof Kurfürstendamm).

Für die Schattenlichter ist klar: Auch wenn die BVG ihre Linie 1 irgendwann völlig einstellen sollte, werden wir sie weiterhin jedes Jahr im GRIPS Theater genießen! Alleine von Januar bis zur Sommerpause steht sie dort mehr als 30-mal auf dem Spielplan.

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