Schattenlichter auf Theaterreise
Wenn Mitglieder der Theatergruppe Schattenlichter aus Berlin wegziehen und damit auch die Gruppe verlassen, ist das natürlich immer sehr schade. Immerhin gibt es aber auch einen positiven Aspekt: Wenn sich die Ehemaligen an ihrem neuen Wohnort ebenfalls in einer Theatergruppe engagieren, können die Zehlendorfer auf Reisen gehen und Aufführungen an anderen Orten ansehen und ihren Ehemaligen zujubeln.
In diesem Sinne ging es an diesem Wochenende in die Kleinstadt Nördlingen. Dort gibt es den „Verein Alt Nördlingen“, der sich seit genau 100 Jahren für den Ort und seine Kultur einsetzt. Es gibt ein sehr engagiertes ehrenamtliches Theaterteam, das im Sommer von Mitte Juni bis Anfang August die Freilichtbühne „Alte Bastei“ bespielt – und zwar jeweils mit einem Stück für Kinder und einem für Erwachsene.
Beim Erwachsenenstück – dem Musical „My Fair Lady“ – spielt das ehemalige Schattenlichter Markus W. Schütz mit. 17 Aufführungen sind angesetzt; das erfordert von den Mitwirkenden schon ein anderes Commitment als bei den Schattenlichtern! Da die Freilichtbühne nicht überdacht ist, wird auch bei Wind und Nieselregen gespielt.
Ein Fun Fact: Als Markus neu bei den Schattenlichtern war, spielte die Gruppe als erstes „Pygmalion“ von Bernard Shaw; das ist ausgerechnet die Grundlage von „My Fair Lady“. Während Markus damals Souffleur war, gab er nun den Oberst Pickering, die drittgrößte Rolle.
In „My Fair Lady“ geht es darum, wie stark Sprache den sozialen Status bestimmt. Zwei Sprachforscher – Henry Higgins und Oberst Pickering – schließen vor rund 100 Jahren in London eine Wette ab, ob man aus dem stark Dialekt sprechenden Blumenmädchen Eliza Doolittle in sechs Monaten Spracherziehung und Benimmschule eine gesellschaftsfähige Dame machen kann. Frederick Loewe schrieb in den 1950er-Jahren eingängige Lieder dazu wie „Es grünt so grün“, „Mit nem kleen Stückchen Glück“ und „Ich hab getanzt heut Nacht“.
Die Nördlinger haben ihre Inszenierung an ihre Region angepasst: Der Dialekt ist heimisch, Gebäude und Geschäfte des Stücks tragen Nördlinger Namen, und sogar für das legendäre Pferderennen gibt es ein Nördlinger Pendant.
Zeitlich befindet sich das Stück zwischen damals und heute: Sprachübungen und Aufnahmetechnik sind aus der Zeit von Bernard Shaw, aber es werden auch Brücken nach heute geschlagen – beispielsweise mit Obdachlosen, die ihr Hab und Gut in Supermarkt-Einkaufswagen horten, mit Handys und Sozialen Medien und nicht zuletzt auch durch den Stückausgang, in dem Eliza als moderne emanzipierte Frau weder den arroganten Sprachwissenschaftler Higgins noch den reichen Nichtsnutz Freddy heiratet.
Es ist beeindruckend, wie die Nördlinger die Herausforderungen ihrer vieretagigen Bühne geschickt meistern und mit welchen Mengen an Licht- und Tontechnik sie umzugehen wissen. Dabei besitzt der Verein auch die Weitsicht, junge Leute ins Boot zu holen und für das ehrenamtliche Mitarbeiten zu begeistern.
Ein großes Ensemble – mit rund 25 Leuten auf der Bühne – kann auch die Massenszenen von „My Fair Lady“ gut umsetzen und für das richtige Ambiente in der Gosse wie auch beim großen Pferderennen sorgen. Der Spaß am Spielen ist allen anzumerken. Hervorhebenswert fanden die Schattenlichter selbstredend den Oberst Pickering, aber auch die Darsteller von Freddy, Alfred Doolittle, dem Kneipier und einem Trinker, der sich auf der Bühne mehrfach halsbrecherisch überschlug, wenn er mal wieder aus der Kneipe geworfen wurde. Gesanglich hob sich vor allem die Darstellerin der Eliza besonders ab. Dass Laien auf der Bühne stehen, ist vielfach gar nicht zu merken.
Rundum ein überaus gelungener Abend! Noch bis zum 2. August ist „My Fair Lady“ in der Freilichtbühne zu sehen. Karten gibt es auch für Berlinerinnen und Berliner online unter www.freilichtbuehne-noerdlingen.de.