Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Sobald man eine Schule betritt, kann man etwas lernen. Das stimmt heute Abend auf jeden Fall — und morgen Abend ist gleich noch einmal die Gelegenheit dazu. Denn gerade zeigt der Wahlpflichtfach-Kurs „Darstellendes Spiel“ des Steglitzer Paulsen-Gymnasiums das Stück „Vineta“.

Lernen kann man zum einem vieles über den Autor dieses Stücks, den zumindest die beiden heute anwesenden Schattenlichter nicht kannten: Jura Soyfer. Wie wir erfahren, war er ein Arbeiterdichter, der in den 1930er-Jahren in Wien lebte und Gedichte sowie eine Reihe von satirischen Theaterstücken schrieb — darunter „Vineta“. Soyfers Stücke wurden in Wiener Caféhäusern aufgeführt, die maximal 49 Sitzplätze hatten. Ab 50 Plätzen galt das Zensurgesetz, und da zumindest „Vineta“ kein unpolitisches Stück ist, lässt sich nachvollziehen, warum Soyfer sich in der damaligen Zeit nicht der Zensur aussetzen wollte.

Leider reichte diese Vorsichtsmaßnahme nicht aus: Im März 1938 wurde Soyfer an der Schweizer Grenze verhaftet. Die österreichische Polizei übergab ihn der SS, die ihn ins Konzentrationslager Dachau brachte. Von dort wurde er ins KZ Buchenwald geschickt, wo er im Februar 1939 starb.
Lernen kann man auch allerlei über die Stadt Vineta, die der Sage nach wegen der Verschwendungssucht und wegen der mangelnden Demut ihrer Bewohner vom Meer verschluckt wurde. Dies soll sich — laut Wikipedia — im Mittelalter an der pommerschen Küste zugetragen haben. In Soyfers Stück erzählt ein versoffener alter Seemann die Geschichte, wie er selbst als junger Taucher auf den Meeresgrund sank und unbeabsichtigt in Vineta landete. Das Stück springt in die Vergangenheit; ab nun ist die Szenerie in blaues Licht getaucht, und fischartige Wesen mit Schwimmbrillen und Seifenblasen bestimmen das Bild.

Bis dahin gibt es nichts, was in der Nazizeit hätte zensiert werden müssen. Aber nun geht’s los: Denn die Bewohner Vinetas zeichnen sich allesamt durch sinnloses Tun und durch eine unsagbare Gleichgültigkeit aus. So regelt ein Polizist dauertrillerpfeifend den nicht verhandenen Verkehr, eine Frau wartet auf ein Boot, das „gestern“ gefahren ist, und ein Beamter stempelt sinnlos Papiere. „Wenn Sie morgen nicht kommen können, dann kommen Sie gestern, so zwischen fünf und zwei!“, heißt es. Der tauchende Seemann versucht alles, um die Gleichgültigen aufzurütteln, aber er scheitert an ihrer Willenlosigkeit. Hier Parallelen zur damaligen Gesellschaft und zu den damaligen Behörden zu ziehen, fällt nicht schwer.

Ein wirklich interessanter Theaterabend — kurzweilig und mit nur einer Stunde auch sehr kurz! „Vineta“, am morgigen Donnerstag, 25.1., um 19:30 Uhr; der Eintritt beträgt 4,- Euro, ermäßigt die Hälfte. Angst vor Ausverkauf muss man nicht haben; die Aula des ehrwürdigen Gebäudes ist riesig.

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Einfach mal die Stühle umstellen

Einfach mal die Stühle umstellen

Eine veränderte Perspektive tut immer gut: Das bewies heute die Jugendtheatergruppe der Wilmersdorfer Auen-Gemeinde mit ihrer Aufführung „Der Besuch“, angelehnt an Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Dieses vermutlich berühmteste Theaterstück eines Schweizer Autors haben die Schattenlichter schon mehrfach gesehen — auf der eigenen Bühne 1989 (drei Schattenlichter von damals sind heute noch in der Gruppe), später im Renassance-Theater, im Schlosspark-Theater und als Schüleraufführung.

Aber erst die Jugendtheatergruppe der Auen-Gemeinde kam auf die Idee, das Publikum rund um einen zentralen Platz zu setzen, auf dem sich das skurrile Kleinstadtgeschehen zwischen Krämerladen und Gasthof abspielt. So fühlt sich der Zuschauer nicht nur als Beobachter, sondern vor allem als Beteiligter, als mitschuldig werdender Bürger der Stadt Güllen.

Das Stück handelt von einer betagten Millionärin, die als mittellose, schwangere 17-Jährige aus dem Ort vertrieben worden war, im Ausland reich wurde und nach 50 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um sich an den Menschen zu rächen, die ihr das Leben in Güllen schwergemacht hatten.

Die Handlung der heutigen Aufführung orientiert sich an einer Verfilmung aus dem Jahr 1964, die ebenfalls nur kurz „Der Besuch“ heißt. Auch die Namen der Charaktere lehnen die Wilmersdorfer an den Film an. So heißt Alfred Ill, die große Jugendliebe der heute alten Dame, Sergej Miller. Auch das Ende ähnelt dem der Filmhandlung: Wie Wikipedia verrät, wollte man auch in der Filmproduktion Alfred Ill von den „lieben“ Mitbürgern aus Geldgier umbringen lassen, aber der Produzent, die „20th Century Fox“, bestand auf einem „Happy End“. Was daran „Happy“ ist, muss uns zwar erst noch erklärt werden, aber ein kluges Ende ist es allemal.

Die 16 Jugendlichen meistern das große Stück sehr gut und schaffen es mehrfach, dass sich echte Beklommenheit und Betroffenheit im Publikum breitmachen. Immer wieder rufen Szenen zugleich Lachen und Grauen hervor — genau so, wie der Autor es gewollt hat.

Klug ist es vom Theater-Team der Auen-Gemeinde, die eigentlich alten Bürger der Stadt sowie ihre Besucherin nicht so alt zu machen, wie sie vom Autor erdacht wurden, sondern im mittleren, berufstätigen Alter anzusiedeln. So liegt das Geschehen, an das sich die Besucherin erinnert, nur 20 Jahre zurück. Das heißt, dass die jugendlichen Schauspieler eher 40-Jährige als 70-Jährige spielen müssen, was ihnen naturgemäß leichterfällt. Auch ist die alte Dame doppelt besetzt; die beiden Schauspielerinnen treten abwechselnd auf, bis die alte Dame schließlich so viel Macht gewonnen hat, dass beide Darstellerinnen zeitgleich und mit doppelter Wucht erscheinen. Darauf muss man erst mal kommen!

Die letzte der drei Aufführungen findet am morgigen Sonntag, 21.1., um 19 Uhr statt. Acht Schattenlichter sagen „Hingehen!“ und danken der Auen-Gemeinde für einen kurzweiligen Abend.

Großer Auen-Saal, Wilhelmsaue 118 a, Eintritt frei (Spende erbeten).

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Theater auf dem Jakobsweg

Theater auf dem Jakobsweg

„Wenn Deutsche über Grenzen gehen“ heißt das aktuelle Kabarett-Programm in der Distel. Es bietet zwei Stunden ausgesprochen kurzweilige Unterhaltung, die mit jeder Menge politischen und ökologischen Stellungnahmen gewürzt ist.

Die Rahmenhandlung bildet eine Wanderung dreier grundverschiedener Charaktere auf dem Jakobsweg. Vom schlechten Wetter mehrere Tage lang in eine enge Hütte gezwungen, lernen sie sich notgedrungen recht gut kennen — gegen den Willen der einen und zur großen Freude der anderen Pilger.

Die Betrachtung der Personen mit ihren Macken macht Spaß, hätte aber nicht genug Potenzial für einen ganzen Abend. Das haben die Kabarettmacher weise erkannt. Daher lassen sie die Charaktere aus ihren eigentlichen Rollen ausbrechen und so manches kluge und witzige Gespräch führen, das zu ihrem Charakter nicht passen würde, aber für einen gelungenen Abend unerlässlich ist.

Neben dem tollen Programm sind auch die Gesangseinlagen das Eintrittsgeld wert — mit beachtlichen Stimmen, guten Texten und einfallsreichen Choreografien.

Fünf Schattenlichter sagen: Hingehen!

Wieder vom 12. bis zum 17. Februar und vom 26. Februar bis zum 2. März 2018. Zum Glück gibt es keine terminlichen Überschneidungen mit den Aufführungen von „Der Vorname“!

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Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Überlegt mal, welcher bekannte zeitgenössische Filmschauspieler geeignet wäre, um im Theater einen überzeugenden Schuster Wilhelm Voigt bzw. den „Hauptmann von Köpenick“ zu spielen? Wer kann anständig berlinern und schlaksige, einfache Unterschichttypen mit Herz spielen, die zwar eigentlich die Dauerloser sind, aber moralisch die Nase vorn haben?
Genau, da fällt nicht nur den Schattenlichtern zuerst Milan Peschel ein, sondern auch dem Deutschen Theater. Am 21. Dezember war Premiere von Carl Zuckmayers berühmtesten Stück, und gestern haben es auch vier Schattenlichter im ausverkauften Haus gesehen.

Wie erwartet, ist Milan Peschel die Idealbesetzung: Er rebelliert erst zaghaft, dann immer massiver gegen die Engstirnigkeit preußischer Beamter, bis er sie schließlich mit ihren eigenen Waffen schlägt, indem er ihre Obrigkeitshörigkeit ausnutzt. Das schafft er mit einem umfangreichen Repertoire — von verständnislos und dümmlich über schmollend und verzweifelt bis hin zu gewitzt und erhaben.

Die Inszenierung legt das Stück allerdings nicht zu seiner Originalzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, sondern legt sich nicht fest. Manche Dialoge sind höchst aktuell und beziehen sich auf Menschen von heute, andere wiederum sind nur im alten Preußen denkbar. Offenbar soll so die Zeitlosigkeit des Stücks gezeigt werden.

Einige Aktualisierungen sind dabei witzig und originell geraten, beispielsweise wenn sich Voigts Kumpanen ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen verdienen. Andere Szenen hingegen verlieren durch die Zeitlosigkeit an Stärke, beispielsweise der Tod der jungen kranken Untermieterin von Voigts Schwester, der die Verhältnisse im Berlin der 1900er-Jahre zeigt, aber nicht in der heutigen Großstadt. Auch die Militärerziehung im preußischen Knast, die Voigt die Kenntnisse vermittelte, die er benötigte, um seine Köpenickiade durchziehen zu können, ist in einem heutigen Gefängnis nicht denkbar.

Auch das Bühnenbild legt sich nicht fest: Die dargestellten Häuserkulissen sind teils modern und als das DB-Gebäude am Potsdamer Platz und die heruntergekommene Rentenversicherung in Wilmersdorf zu identifizieren, andere sind Gründerzeitfassaden oder DDR-Platten, und wieder andere sind phantasievoll-irreal wie die tulpenverzierte Wohnung von Voigts Schwester und ihrem Mann, die man als Sehnsuchtsort von Voigt interpretieren kann, als heile Welt. Das kann man machen, aber wir können uns auch bessere Lösungen vorstellen.

So sehr sich die Schattenlichter eine eindeutigere zeitliche Festlegung gewünscht hätten, so gut gefiel ihnen dennoch die Beweglichkeit des Bühnenbilds. Die Häuserfassaden werden ständig — oft direkt von den Schauspielern — über die ansonsten leere Bühne geschoben; sie werden zu engen Gässchen oder weiten Plätzen kombiniert, und im Inneren der Gebäude befinden sich die Wohnungen, Läden, Absteigen und Amtsstuben.
Während der Szenenwechsel entstehen keine Pausen, sondern hinter den Kulissen wird weitergespielt, und eine Kamera projiziert das Gespielte auf die Hausfassaden. Was leicht wirkt, muss eine Wahnsinnslogitik in sich haben!

Einige Kostümideen gehören hier noch beschrieben, da sie dem Publikum ausnehmend gut gefielen:

– Die für das Geschehen zentrale Uniform schillert und glänzt in Blau, Rot, Silber und Gold.

– Die Bewohner der Tulpenwohnung tragen Kleidung mit ebensolchem Tulpenmuster.

– Und für die Darstellung der dicken Bürgermeisterfamilie schlüpfen drei normal gebaute Schauspieler in gruselige Fettmachkostüme. So lustig!

Mit 140 Minuten ohne Pause ist das Stück recht lang geraten. Für unseren Geschmack hätten die gefilmten Szenen kürzer ausfallen können, so dass man die gewonnenen 20 Minuten für eine Pause hätte nutzen können. Das Publikum hätte sicherlich gerne die Zeit genutzt, in der Wilhelm Voigt in der Stückmitte wieder einmal zehn Jahre „sitzen“ muss, um selbst mal kurz nicht zu sitzen, sondern sich in dem hübschen Theatergebäude die Beine zu vertreten und sich über das Gesehene zu unterhalten. Theater lebt schließlich auch davon, dass das Publikum darüber spricht.

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Mit „Kunst“ ins neue Jahr

Mit „Kunst“ ins neue Jahr

Am Silvesterabend hatten die Schattenlichter bei ihrem Theaterbesuch ein Déjà-vu: Wie am 29.12. waren sie in einem Theater bei der letzten Abendveranstaltung des Jahres in diesem Haus, und wie am 29.12. trat vor Stückbeginn der – jeweils neue – Theaterleiter vors Publikum, um eine Ansage zu machen.

Diesmal war es das Berliner Ensemble, und der seit Beginn der Spielzeit neue Intendant Oliver Reese kündigte an, dass sich einer der drei Schauspieler beim Skifahren einen doppelten Kreuzbandriss zugezogen habe, trotzdem auftreten werde, aber einige körperlich herausfordernde Szenen modifiziert werden mussten.

Den ganzen Abend über konnten die Schattenlichter nicht erkennen, welcher der drei der Verletzte war. Unglaublich – oder, da die Handlung in Paris spielt – „Châpeau“!

Auch das Stück insgesamt war unglaublich gut: Es handelt sich um „Kunst“ von Yasmina Reza, eine neue Inszenierung im Berliner Ensemble. Die Handlung erinnert ein wenig an „Der Vorname“, den die Schattenlichter ja derzeit proben: Langjährige gute Freunde treffen sich, und anhand eines Streits entwickeln sich weitere Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die lange unterdrückte Gefühle offenbaren und manches zutage fördern, das besser ungesagt geblieben wäre.

In „Kunst“ entzündet sich der Streit an einem Gemälde, das einer der drei Freunde für unfassbare 100.000 Euro gekauft hat und das für seinen Freund einfach nur eine weiße Fläche darstellt. Ist es nun „viel mehr als weiß“ oder „eine riesige weiße Scheiße“? Kurzweilig wird diskutiert, und das Publikum folgt dem Geschehen erheitert und gebannt.

Wie so oft gibt es auch hier etwas, das die Schattenlichter in ihre eigene Inszenierung mitnehmen können: So unterschiedlich die Meinungen der drei Freunde sind, hat man Mühe, sich vorzustellen, warum sie jahrelang beste Freunde gewesen sein sollten. Es lässt sich weder erahnen, was die drei jemals verbunden haben könnte, noch, wo und wie sich ihre Biografien gekreuzt haben könnten. Wir werden bei den Proben für „Der Vorname“ versuchen, den Freundschaftsaspekt anfangs stärker zu betonen.

Die Schattenlichter wünschen allen Theaterfreunden – ob mit oder ohne Kreuzbandriss – ein glückliches, schönes und gesundes neues Jahr! Und wir empfehlen „Kunst“ ausdrücklich! Für Sonntag, den 28. Januar 2018, gibt es noch Restkarten. Nichts wie kaufen!

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Das Jahr klingt aus mit „Fahr mal wieder U-Bahn!“

Das Jahr klingt aus mit „Fahr mal wieder U-Bahn!“

Der letzte Theaterbesuch des Jahres führte drei Schattenlichter ins GRIPS Theater. Da es sich um die letzte Abendvorstellung des Jahres handelte, nutzte der neue Theaterleiter Philipp Harpain die Gelegenheit für eine kurze Ansprache: Das Theater hat in diesem Jahr drei Theaterpreise abgeräumt und wird voraussichtlich noch bis Silvester die bisher unerreichte Marke von 90.000 Besuchern im Jahr knacken. Toll!

Die letzte Abendveranstaltung – „Linie 1“ – war jedenfalls wieder einmal ausverkauft, obwohl es sich immerhin schon um die 1.810. Vorstellung des Musicals handelt. Das Stammpublikum hat seine Freude daran, einige dezente Veränderungen zu entdecken: Einige Musikstücke wurden leicht aktualisiert und einige Textstellen verändert. Sogar einen veränderten Requisitenumbau haben wir entdeckt! So achtet das GRIPS darauf, dass das Erfolgsstück nicht irgendwann reif für die Mottenkiste wird.

Auch drei neue Gesichter waren im „Linie 1“-Team zu entdecken: Es gab mal wieder ein neues „Mädchen aus Westdeutschland“ – die müssen ja immer jung und unschuldig sein und daher alle paar Jahre neu besetzt werden. René Schubert, aus vielen anderen GRIPS-Stücken bekannt, spielt nun auch bei „Linie 1“ mit und ist als Jugendlicher mit Walkman ebenso überzeugend wie als bauchfrei gekleideter „Märchenprinz“. Bei dessen Auftritt muss sogar die Darstellerin des Wessimädchens kurz lachen. Nicht zuletzt hat auch die Band „No Ticket“ einen neuen E-Gitarristen – offenbar eine Vertretung für Michael Brandt -, der sogar den größten „Linie 1“-Ohrwurm zusammen mit dem obercoolen „Bambi“-Darsteller singen darf und das hervorragend macht.

Daneben spielen auch die bekannten Gesichter ihre Rollen unverbraucht und top motiviert. Aus dem Uraufführungsemsemble von 1986 ist nach wie vor Dietrich Lehmann dabei, inzwischen 77 Jahre alt. Man erzählt sich, er habe noch keine einzige der 1.810 Aufführungen verpasst. So einen zuverlässigen und überzeugenden Arbeitnehmer wünscht sich jeder Chef!

Lustig, dass einen Tag vor dem Schattenlichter-Theaterbesuch auch der „Tagesspiegel“ über die „Linie 1“ berichtet. Wenn ein Theaterstück an einem realen Ort spielt, den man aus eigenem Erleben kennt, hat das immer einen besonderen Charme, weil man mitreden kann und sich involviert fühlt. Die Handlung von „Linie 1“ ist auf „1986 West-Berlin“ datiert. Damals fuhr die U-Bahn-Linie 1 von Ruhleben über den Zoo zum Schlesischen Tor. In der Zeitung ist nun zu lesen:

„Die BVG will der „Linie 1“ erneut an den Kragen. Um die Züge der U 3 aus Krumme Lanke, die bisher im Bahnhof Nollendorfplatz enden, bis zur Warschauer Straße fahren lassen zu können, soll es auf der U 1 zur Uhlandstraße weniger Fahrten geben. Bereits 1993 hatte die BVG die Linienführung verändert. Seither kann das Mädchen vom Land nicht mehr wie im Theaterstück am Bahnhof Zoo in den Zug der Linie 1 einsteigen; hier fährt seither die U 2. Als Volker Ludwig sein 1986 uraufgeführtes Stück von dem Mädchen, das in der U-Bahn seinen Schwarm sucht, schrieb, verkehrte die Linie 1 noch zwischen Ruhleben und Schlesisches Tor. 1993, nachdem die durch den Mauerbau entstandene Lücke im Netz zwischen den Bahnhöfen Gleisdreieck und Potsdamer Platz wieder geschlossen war, hatte die BVG schon einmal die „Linie 1“ geschrumpft. Mit dem Lückenschluss war die Verbindung von Pankow nach Ruhleben mit den wichtigen Zwischenstationen Alexanderplatz und Zoologischer Garten zwar die bedeutendste im Netz, sie wurde aber doch nur zur U 2. Die „Linie 1″ sollte zumindest auf ihrem Hauptabschnitt weiter durch Kreuzberg fahren — wie im Musical. So verbunden war die BVG immerhin mit Volker Ludwigs Werk. (…) Die BVG fährt bei den Fahrgastzahlen von Rekord zu Rekord. Nach dem Knacken der Milliardengrenze im Jahr 2016, als sie 1,045 Milliarden Fahrten zählte, waren es im vergangenen Jahr nach ersten Prognosen rund 1,06 Milliarden Fahrten. Und so kamen die Planer jetzt auf die Idee, wieder mehr Züge auf die Hochbahn durch Kreuzberg zu schicken: In den Hauptverkehrszeiten sollen die Bahnen der U 3 alle fünf Minuten von der Krummen Lanke bis zur Warschauer Straße fahren. Dafür soll auf der U 1 zwischen Uhlandstraße und Warschauer Straße nur noch alle zehn Minuten ein Zug kommen. Auf dem nachfragestärksten Abschnitt zwischen Wittenbergplatz und Warschauer Straße, der von beiden Linien befahren wird, gibt es dadurch aber einen Drei- bis Vier-Minuten-Takt. Weiterer Vorteil: Studenten an der Freien Universität, die in Kreuzberg oder Friedrichshain wohnen, erhalten mit der verlängerten U 3 wieder eine umsteigefreie Verbindung. Die U 3 soll nach den bisherigen Überlegungen nicht erneut umbenannt werden, auch wenn die U 1 nur noch alle zehn Minuten fährt — und damit so selten wie die Züge auf den nachfragearmen Linien U 4 (Nollendorfplatz– Innsbrucker Platz) oder U 55 (Brandenburger Tor–Hauptbahnhof). Sollte der Senat den Plänen zustimmen, könnten sie Anfang Mai umgesetzt werden, sagte BVG-Sprecher Markus Falkner.“

Zum Artikel wurde auch eine Grafik veröffentlicht. Merkwürdig ist daran, dass ausgerechnet der ehemalige Endbahnhof der „Linie 1“, Schlesisches Tor, nicht beschriftet wurde (neben dem für die alte „Linie 1“ irrelevanten Bahnhof Kurfürstendamm).

Für die Schattenlichter ist klar: Auch wenn die BVG ihre Linie 1 irgendwann völlig einstellen sollte, werden wir sie weiterhin jedes Jahr im GRIPS Theater genießen! Alleine von Januar bis zur Sommerpause steht sie dort mehr als 30-mal auf dem Spielplan.

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Schattenlichter auf Theaterreise

Schattenlichter auf Theaterreise

Es ist ein angenehmer Luxus, für einen Theaterbesuch extra in eine andere Stadt zu reisen und um den Besuch noch ein paar andere schöne Termine herumzuplanen. In diesem Sinne reisten vier Schattenlichter ins weihnachtliche Hamburg und schauen sich im Altonaer Theater „Die Feuerzangenbowle“ an.

Der Roman von Heinrich Spoerl um seinen frechen Schriftsteller Dr. Hans Pfeiffer ist großartig, die Verfilmung mit Heinz Rühmann kann getrost als früher Kultfilm bezeichnet werden — und das Theaterstück ist ebenfalls wunderbar. Die drei Stunden vergehen wie im Fluge. Kein Wunder, dass diese Inszenierung ihr 20. Jubiläum feiert!

Dank Buch und Film hat jeder ein festes Bild von den Charakteren der greisen Pauker und der „Schöler“. Viele Zitate sind samt Betonung in den alltäglichen Wortschatz übergegangen — man denke nur an „Ähnen fählt die sittliche Reife“, „Mer stelle uns mal janz dumm“ und „Wäär est großes E-Ponkt?“. Die Theaterinszenierung macht nicht den Fehler, die Rollen neu zu interpretieren, sondern sie bedient die Erwartungen, fügt aber phantasievoll einige Überraschungen ein. Geschickt werden auch ein paar Gesangsszenen in die Handlung integriert.

Dieser Ausflug in das Beste des Schulalltags vor fast 100 Jahren ist absolut empfehlenswert. Auf nach Hamburg — bis 26.12. besteht noch die Gelegenheit! Ein paar freie Plätze gibt’s auch, denn der Saal ist riesig.
Frohes Fest allen Theaterfreundinnen und -freunden!

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Sie kann auch singen!

Sie kann auch singen!

Wer sich im Theater auf Weihnachten einstimmen will, dem empfehlen die Schattenlichter einen Gang ins Theater am Kurfürstendamm: Erst das Lichtermeer der üppig und geschmackvoll illuminierten Straße aufnehmen, dann Gayle Tufts und „Very Christmas“ sehen.

Angesichts des Namens Gayle Tufts könnte man einen Abend voller Geplauder in der für die Entertainerin typischen deutsch-englischen Sprachmischung erwarten. Doch man wird überrascht, denn Gayle Tufts kann auch richtig gut auf „Denglisch“ singen. Dafür hat sie charmante Gesangspartner aus New York, England und Österreich an Bord — und ein dreiköpfiges Instrumentalteam. Marian Lux, der musikalische Leiter der Produktion, hat bekannte Weihnachtslieder beschwingend arrangiert, und mit den passenden Lichteffekten und quasi minütlich wechselnden Abendkleidern von Gayle Tufts und ihren Mitstreitern kommt Stimmung auf.

Gayle Tufts führt von Lied zu Lied und fasst dabei mancherlei Typisches originell zusammen: beispielsweise, dass in den USA nur am 25.12. Weihnachten gefeiert wird, während wir in Deutschland den ganzen Advent, Nikolaus und drei Weihnachtsfeiertage haben. Dafür lassen es die Amerikaner mit fetzigen Songs richtig krachen, während wir besinnlich-zurückhaltend „Oh du Fröhliche“ flüstern.

Auch wenn Gayle Tufts einen Trump-freien Abend verspricht, erfährt das Publikum, dass die Entertainerin kürzlich aus aktuellem Anlass die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat und dass sich Amerikaner im Publikum seit November 2016 immer verschämt ducken, wenn sie erkannt wären, während sie früher stolz auf ihre Nationalität gewesen seien.
Nicht zuletzt macht Gayle Tufts auch darauf aufmerksam, dass das Kudammtheater und die Komödie am Ende dieser Spielzeit abgerissen werden und das Ensemble nach einem Jahr Exil im Schiller-Theater zur Soielzeit 2019/20 wieder am Kudamm erwartet wird — im Untergeschoss des Neubaus. Really bedauerlisch!

Täglich außer montags bis zum 26.12.2018

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Andere Adventstermine können warten!

Andere Adventstermine können warten!

Wird etwas zur Tradition, wenn man es zum dritten Mal macht? Wenn ja, haben die Schattenlichter gestern Abend ihren traditionellen vorweihnachtlichen Theaterausflug unternommen.

Diesmal zog es elf Schattenlichter ins Kleine Theater am Südwestkorso, zur „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“. Das Theater hatte die Bühnenadaption des Buches anlässlich des 100. Geburtstags von Heinrich Böll auf den Spielplan genommen.

Böll protestierte mit seinem Werk gegen Sensationsjournalismus und Lügenpresse — am Beispiel der Figur Katharina Blum, die zu Unrecht verdächtigt wird, die Komplizin eines gesuchten Kriminellen zu sein. Die sogenannte „Zeitung“ stellt sie mit allen Methoden der Boulevardpresse an den Pranger und zerstört so ihre soziale Existenz.

Alexander Kratzer hat die Romanhandlung verdichtet und auf funf Schauspieler reduziert. Dabei gehen keine wichtigen Informationen verloren. Im Gegenteil: Während Böll im Buch schon auf den ersten Seiten den Ausgang des Geschehens vorwegnimmt, um dann in Rückblenden zu analysieren, wie es dazu kommen konnte, verläuft die Handlung auf der Bühne chronologisch. So bleibt es für den Zuschauer der deutschen Erstaufführung spannend, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird.

Das raffinierte Bühnenbild besteht aus schmalen, hohen, halbdurchsichtigen Wandelementen, die wirkungsvoll unterschiedliche Räume und auch Ebenen schaffen können. So kann im Vodergrund die Handlung ihren Lauf nehmen, während im Hintergrund die fassungslose Katharina Blum die Zeitungsnachrichten über sich selbst liest, die ihr ihre Ehre rauben. Als Katharina Blum sich über die ungerechte und falsche Berichterstattung beklagt, wird ihr erwidert: „Es gibt ja auch andere Berichte, die neutral und sachlich sind.“ Darauf Blum: „Ja, aber die liest keiner …“

Im Vorwort seines Buches schreibt Böll, dass Ähnlichkeiten zwischen der „Zeitung“ und „BILD“ weder zufällig noch beabsichtigt seien, sondern schlicht unvermeidbar.

Offene Worte, klare Botschaften, dabei Spannung und Originalität — so wünschen sich die Schattenlichter einen Theaterabend. Daher lautet unsere Empfehlung: Unbedingt hingehen — andere Adventstermine können warten!

Katharina Blum verliert ihre Ehre wieder am Freitag, 8. Dezember, 20 Uhr, und am Sonntag, 10. Dezember, 18 Uhr.

Freut Euch auf einen Reigen von Theater-Tipps im Dezember: Wir werden noch Gayle Tufts mit „Very Christmas“ sehen, außerdem „Die Feuerzangenbowle“ und „Linie 1“. Das Jahr endet voraussichtlich mit Yasmina Rezas „Kunst“ im Berliner Ensemble“, aber den dazugehörigen Tipp wird es erst nach dem Jahreswechsel geben.

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Wie vom anderen Stern

Wie vom anderen Stern

Bei ihrer Gründung im Jahr 1985 waren die Schattenlichter eine typische kleine Westberliner Institution: In Zehlendorf-Mitte, nicht einmal drei Kilometer von der Mauer entfernt, ins Leben gerufen, spielte die damalige Konfirmandengruppe in ihrem Kiez im Gemeindehaus, in mehreren Kirchen und auf bezirklichen Veranstaltungen. Schon ein Jahr später gaben die inzwischen Konfirmierten ein – natürlich mit aufwendiger Anreise und mit stundenlangen Grenzkontrollen verbundenes – Gastspiel in ihrer ostdeutschen Partnergemeinde in Rangsdorf.

Was damals Alltag war und 26 Jahre nach dem Mauerfall anmutet wie Geschichten von einem anderen Stern, das kann man sich derzeit auch in der Schaubühne veranschaulichen: „Westberlin“ heißt Reinald Grebes Inszenierung, die von sieben Profischauspielern und sieben Laien dargeboten wird. Da kommen in zweieinhalb Stunden viele Lebensgeschichten, Meinungen und politische Ereignisse zusammen. Manches wirkt klischeehaft, anderes überzogen, manches wurde stark ausgewalzt, anderes fehlt – aber das Stück bietet ehemaligen Westberlinern, Wessis, Ossis und Touris jede Menge Stoff für lange Diskussionen, Fragerunden und Zeitzeugenmeinungsverschiedenheiten nach dem Theaterbesuch. Wie das Lebensgefühl in West-Berlin war, ist eben genauso individuell wie jeder von uns.

Wieder am 29.11., 30.11., 1.12., 4.12., 5.12. und 6.12.2017: Die hintersten Plätze für sagenhafte sieben Euro sind gar nicht schlecht. Nur bei den Schattenlichtern ist der Eintritt noch günstiger!

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