Zum 50. GRIPS-Geburtstag Gastspiel der „Seoul Line 1“

Zum 50. GRIPS-Geburtstag Gastspiel der „Seoul Line 1“

Als das GRIPS Theater im Sommer 1994 sein 25-jähriges Bestehen feierte, hatte ich dort einen Job als studentische Hilfskraft. Dass das Theater nun schon 50 wird, fühlt sich für mich merkwürdig an, obwohl ich ja immerhin 25 Jahre hatte, um mich auf diesen Augenblick vorzubereiten.

Das GRIPS-Jubiläum beobachte ich natürlich auch im Hinblick auf das damalige Halbzeit-Jubiläum: Ich erinnere mich vor allem daran, dass es damals viel internationalen Besuch und entsprechend spannenden kulturellen Austausch gab.

Diesmal ist es genauso – und das Publikum darf daran teilhaben. Das ist toll! In den vergangenen Tagen waren bereits Gastspiele aus Indien und Griechenland auf der Geburtstagsbühne zu sehen. Die vier GRIPS-treuesten Schattenlichter entschieden sich heute Abend für ein Gastspiel aus Südkorea: die „Seoul Line 1“ von Kim Min’Gi nach Volker Ludwig – dem Autor der Berliner Original-„Linie 1“ – mit deutschen Übertiteln.

Mehr als 4.000 Aufführungen hat die asiatische „Linie 1“ schon hinter sich – und damit rund doppelt so viele wie das Original vom Hansaplatz.

Die Seouler Version sei ein völlig neues Theaterstück, sagte „Linie 1“-Autor und GRIPS-Gründer Volker Ludwig im Rahmen der Premiere zu Kim Min’Gi. Ja und nein, finden die Schattenlichter, denn in der „Seoul Line 1“ ist vieles aus „Linie 1“ gut wiederzuerkennen bis hin zu den Choreografien einzelner Lieder. „Linie 1“-Kenner der frühen Stunde konnten sich sogar über ein Lied freuen, das in der aktuellen „Linie 1“ gar nicht mehr zu finden ist: das Lied der Kontrolleure bzw. U-Bahn-Dschungelkrieg.

Spannender ist natürlich zu sehen, was in Seoul anders ist als in Berlin: Die Gesellschaft wirkt gespaltener, Armut, Hunger und Elend spielen eine größere Rolle, der IWF ist ein Feind der Armen, Prostitution dominiert ein ganzes Stadtviertel, man hat eine diffuse Angst vor dem Gefängnis …

Die heitereren Unterschiede: Kreuzberg ist in Seoul einfach „588“. Die Bahnhofsansagen sind höflich und akustisch verständlich; sie weisen darauf hin, dass andere Fahrgäste nicht zu belästigen seien und dass die Staatssicherheit aufpasse. Die U-Bahn fährt aufgrund verschiedener Hersteller auf einigen Linien im Linksverkehr, auf anderen rechts, wodurch man leicht mal in die falsche Richtung fährt …

Der Zoo-Imbiss ist in Seoul ein Imbisswagen. Einige Rollen sind anders zusammengefasst; so singt das Pendant von Boulettentrude auch Herrmanns Lied „Herrlich zu leben“, und Maria und Lumpi sind ein und dieselbe Person. Und – haltet Euch fest – es gibt keinen Jungen in Hut und Mantel!

Wenn es in Berlin heißt: „Du einzige Stadt auf der Welt, wo in allen Richtungen Osten ist“, heißt es heute Abend: „Seoul, du Stadt ohne Norden!“ Und statt „Mit dem Fuß in der Hundescheiße“ steht man „in ausgekotzter Nudelsuppe“. Großartig!

Singen können die Seouler Darsteller erstklassig. GRIPS-Komponist Birger Heymann hätte seine Freude gehabt. Die fünfköpfige Band heißt übrigens ebenfalls „No Ticket“, hat aber anstelle eines Saxophons eine Geige!

Beim Spiel konkurrieren manchmal ernsthafte und komödienhaft-übertriebene Darstellungen; die Gestik wirkt insgesamt größer, als wir es gewohnt sind. Nach dem dreieinhalbstündigen Abend verabschieden sich die Darsteller am Ausgang mit Verbeugungen von jedem einzelnen Zuschauer.

Ein wahrlich interessanter und emotionaler Abend! Wir sagen Danke und gratulieren dem GRIPS von Herzen! Schön, dass man Euch in aller Welt liebt!

Die „Seoul Line 1“ läuft auch am morgigen Mittwoch, 19. Juni, um 19:30 Uhr. Danach ist noch dreimal das Berliner Vorbild zu sehen, bevor das GRIPS in die Sommerpause geht. 50-Jährige brauchen auch mal eine Pause!

Wieder los geht’s im GRIPS am 7. August. Karten für die neue Spielzeit gibt es während der Sommerpause online unter grips-theater.de.

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.

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