Noch aufgetakelter und abgehalfterter

Noch aufgetakelter und abgehalfterter

Wer wie ich das Berlin-Musical „Linie 1“ im GRIPS Theater rund 50 Male in seiner ursprünglichen Fassung gesehen hat, ist ein bisschen aufgeregt, wenn der erste Besuch der Neuinszenierung bevorsteht: Wird es eine Weiterentwicklung sein – oder das Ende meiner Beziehung zu diesem Stück?

Mit drei weiteren Schattenlichtern sah ich mir nun also die 1.983. Aufführung von „Linie 1“ an. Und ich muss sagen: Super! Alles gut! Einiges ist gestrafft, anders in der Reihenfolge geändert, die Musik wiedererkennbar, aber behutsam modernisiert und teilweise auch dramatisiert. Regisseur Tim Egloff ist es gelungen, neue Akzente zu setzen, ohne dass sich „Linie 1“ dabei untreu geworden ist.

Interessant auch manche Umbesetzungen im Ensemble: Auch hier empfanden es die Schattenlichter als sehr gelungen, der früheren Lumpi-Darstellerin Rollen mit mehr Text und Gesang zu geben.

Überhaupt der Gesang: Das Team ist noch stimmgewaltiger geworden. Inzwischen sind ausnahmslos alle Songs prima gesungen. Wie ist das möglich?

Lobende Worte verdient auch das Bühnenbild: Die Band – erfreulicherweise nach wie vor dieselben Musiker – spielt optisch nun in einem fahrenden U-Bahn-Waggon, raffiniert und geschmackvoll beleuchtet. Das Podest der Musiker ist nun nicht mehr ihnen alleine vorbehalten, sondern wird auch von den Schauspielerinnen und Schauspielern benutzt.

Auch die Sitzbänke auf der Bühne haben sich verändert: Sie bieten nun noch mehr Möglichkeiten für akrobatisches Spiel. Das Bühnengeschehen spielt sich nun teilweise außerhalb der Waggons ab. Das Publikum war nicht irritiert, und das Ensemble hatte mehr Bewegungsfreiheit.

Ein letztes Wort zu den Kostümen und zur Maske: Alles ist etwas bunter und extremer geworden, die Pennerbärte zotteliger, die Schulmädchen aufgetakelter, die Zuhälter abgehalfterter, die Immobilienlady glänzender … und die Wessitussi weniger brav.

Am Ende des Tages steht fest: „Linie 1“ wird weiterhin zu unserem regelmäßigen Vergnügen gehören.

Für diverse Vorstellungen im September gibt es noch Karten: www.grips-theater.de

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Es geht doch nichts über Open-Air-Theater am Abend eines heißen Sommertages!

Es geht doch nichts über Open-Air-Theater am Abend eines heißen Sommertages!

Die kurzweiligste Shakespeare-Inszenierung, die wir je gesehen haben – da waren sich vier Schattenlichter sofort einig, nachdem sie heute Abend „Zwei Herren aus Verona“ im Open-Air-Theater der Shakespeare Company Berlin am Insulaner gesehen hatten.

Von der ersten Minute an kommt die Inszenierung von Shakespeares Frühwerk leichtfüßig, kurzweilig, ideenreich und witzig daher. Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler stellen in zweieinhalb Stunden 18 Charaktere dar, wobei auch mal eine leere Ritterrüstung eine Rolle übernimmt oder ein Zuschauer als missgestalteter Hund eingebunden – beziehungsweise angebunden – wird.

Die beiden Herren aus Verona sind die langjährigen Freunde Valentin und Proteus. Valentin will hinaus in die Welt, um am Hofe des Herzogs von Mailand sein Glück zu finden. Proteus hingegen möchte Verona keinesfalls verlassen, da er in die schöne Julia verliebt ist. Doch schon bald wird er von seiner Mutter gezwungen, Valentin an den Hof des Herzogs zu folgen.

Valentin hat sich in Mailand in die Herzogstochter Silvia verliebt, die jedoch nach dem Wunsch ihres Vaters den reichen Adligen Thurio heiraten soll. Auch Proteus verliebt sich in Silvia, und um sich die Gunst des Herzogs zu sichern, ködert Proteus den Herzog und Thurio mit einer geschickten Intrige, die Valentin in die Verbannung zwingt. Inzwischen hat sich Julia als Mann verkleidet nach Mailand aufgemacht, um Proteus wiederzusehen.

Bis zum Schlussakkord geschehen noch viele überraschende Wendungen, durch die das Ensemble sein Publikum in vielen kurzen Szenen und teilweise auch mit gekonnter musikaler Untermalung führt.

Perfekte Unterhaltung für einen schönen Sommerabend, den man nirgendwo anders als unter freiem Himmel hätte verbringen wollen!

Der Sommer hat gerade erst begonnen, also gibt es noch zahlreiche Gelegenheiten, dieses Stück oder sechs weitere Shakespeare-Werke am Insulaner zu sehen.

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Kein typisches Berlin-Musical

Kein typisches Berlin-Musical

Wenn man ein „Berlin-Musical“ besucht, erwartet man eine Story rund ums Brandenburger Tor, mit Ossis und Wessis, Linden und Kühen, Ampelmännchen und Goldelse.

Wie wohltuend ist es dann, wenn der wichtigste Schauplatz ein Teich in Weißensee ist und wenn die zentralen Fragen sich damit befassen, wie die Bäckerei Steinecke zu ihrem Logo kam und warum Gott sich bei der Erschaffung der Welt nicht sieben Tage Zeit gelassen hat, um ein besseres Ergebnis zu erzielen!

So geschieht’s im Musical „Cringe“ des Kabarettisten Fil, das in der vergangenen Woche mehrfach im Mehringhof-Theater zu sehen war. Wer neugierig geworden ist, kann das Ein-Mann-Musical Anfang August und Anfang September auf anderen Berliner Bühnen sehen: in der UFA-Fabrik und in der DISTEL.

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Dieses Theaterstück ist gut gegen Nordwind

Dieses Theaterstück ist gut gegen Nordwind

Zum dritten Mal innerhalb von sechs Wochen waren die Schattenlichter heute im Steglitzer Schlosspark-Theater. Es ist erstaunlich, was für eine große Bandbreite das Programm des Theaters abdeckt!

Nach dem ernst-erschütternden Ein-Mann-Stück „Die Judenbank“ und dem komisch-satirischen „Biedermann“ gab es nun etwas für Romantiker: „Gut gegen Nordwind“.

Der sympathische Kinofilm mit Nora Tschirner und Alexander Fehling dürfte bekannter sein als die Romanvorlage von Daniel Glattauer. Die Bühnenfassung enttäuscht weder die Fans der Kinovariante noch des Romans. Sie ist nahe am Ursprungstext, gibt ihn aber schlau gekürzt wieder, so dass ein dynamisches Zwei-Stunden-Theaterstück entsteht.

Die Handlung ist schnell erzählt: Bei Leo Leike landen irrtümlich E-Mails einer ihm unbekannten Emmi Rothner. Aus Höflichkeit antwortet er ihr. Und weil sich Emmi von ihm verbal angezogen fühlt, schreibt sie zurück.

Nach anfänglichem Geplänkel entwickelt sich echte Kommunikation und in weiterer Folge eine immer intimere Freundschaft. Immer atemloser warten die beiden Schreibenden auf die jeweiligen Antworten. Und Leos E-Mails sind gut gegen den Nordwind, der Emmi nicht schlafen lässt, wenn er bläst.

Die Versuchung eines persönlichen Treffens steigt. Doch werden die gesendeten, empfangenen und gespeicherten Liebesgefühle einer Begegnung standhalten?

Johannes Hallervorden zeigt Leo als verkopften intellektuellen Sprachwissenschaftler, der seiner langjährigen Beziehung nachtrauert und erst nach einer Flasche Wein aus sich herauskommt. Den Gegenpol Emmi stellt Johanna Marie Bourgeois als spontane, witzige, impulsive und eifersüchtige Frau dar. Der Emmi im Kinofilm war die Ehefrau leichter zu glauben, weil man da Ehemann und Kinder leibhaftig zu sehen bekam.

Das Bühnenbild – zwei kleine, durch eine Wand getrennte Räume – unterstreicht die Einsamkeit der beiden Charaktere. Wenn beide in intimen Szenen gleichzeitig eine Hand an die trennende Wand halten, erinnert das an historische Paare, die trotz ihrer großen Liebe nicht zusammenkommen konnten – etwa Pyramus und Thisbe oder Romeo und Julia. Natürlich ist die Stückvariante moderner: Jedes Zimmer enthält an einem zentralen Punkt einen Laptop, und die Räume sind oft in bläuliches Licht getaucht, das die Atmosphäre angeschalteter Bildschirme wiedergibt.

Im Schlosspark-Theater ist „Gut gegen Nordwind“ noch morgen und übermorgen zu sehen. Danach läuft es voraussichtlich bis zum Jahresende im „Theater Berliner Schnauze“ am U-Bahnhof Frankfurter Tor. Die nächsten Termine dort sind Freitag, der 26. Mai, Pfingstsonntag sowie Donnerstag und Freitag, 1. und 2 Juni. Man kann sich also überlegen, ob man den Theaterbesuch im Theater des Vaters Hallervorden oder des Sohnes absolvieren möchte. Empfehlenswert ist das Stück so oder so! Und nach dem Theaterbesuch empfiehlt sich die Lektüre von Glattauers Fortsetzung der Story: „Alle sieben Wellen“.

www.schlossparktheater.de
www.berliner-schnauze-theater.com

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„Oder so“

„Oder so“

Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ kennen die Schattenlichter in- und auswendig – schließlich haben sie 2012 eine eigene Bühnenfassung erarbeitet und mit großem Erfolg aufgeführt.

Eine andere Bühnenversion sahen sich drei Schattenlichter gestern Abend in der „Komödie“ an, die derzeit im Theater am Potsdamer Platz gastiert: „Stolz und Vorurteil oder so“ von Isobel McArthur.

Unter der Regie von Christopher Tölle ist da eine ganz eigene Jane-Austen-Welt erstanden: Zwar dreht sich bei Jane Austen alles um die Beziehung zwischen Männern und Frauen, aber „Stolz und Vorurteil oder so“ kommt gänzlich ohne männliche Schauspieler aus. Fünf Frauen führen durch den Abend. Abwechselnd schlüpfen sie in die Rollen von fünf Dienstmädchen, die auch als Erzählerinnen fungieren, aber sie stellen auch die fünf unverheirateten Bennett-Schwestern dar, ihre Mutter, ihre Freundin sowie Lady Catherine de Bourgh. Und da „Stolz und Vorurteil“ eben doch nicht ohne Männer auskommt, geben die Darstellerinnen auch noch die Herren Bingley und Darcy sowie den schrecklichen Cousin Mr. Collins ab.

Das Ganze ist kurzweilig, dynamisch und witzig, manchmal vielleicht ein bisschen zu schrill und zu laut. Sämtliche Charaktere sind stark überzeichnet, was oft für großes Gelächter im Saal sorgt, aber zulasten der feinen Zwischentöne geht, von denen die Geschichte ja ursprünglich auch lebt.

Sehr originell und gelungen ist auch das Bühnenbild: Die Innenräume kommen mit einem einzigen Drehelement aus, das vier unterschiedliche Räume darstellen kann, und die wechselnden Kostüme kommen aus rustikalen Transportkisten, wie sie oft für Bühnentechnik verwendet werden.

Für die musikalische Untermalung sorgen die immer mal wieder Popsongs singenden Schauspielerinnen sowie ein Musiker, der – wenn gerade nicht im Einsatz – den stummen, unbeteiligten, zeitungslesenden Vater der fünf Mädchen abgibt.

Die Filmschauspielerin Anna Maria Mühe gibt mit „Stolz und Vorurteil oder so“ ihr Theaterdebüt; sie stellt die eigentliche Hauptrolle des Romans dar – Elizabeth Bennett, aus deren Perspektive Jane Austen die Handlung erzählt. Wie auch die anderen vier Damen (Johanna Asch, Mackie Heilmann, Nadine Schori und Birthe Wolter) macht sie das prima!

Die Schattenlichter empfehlen: Hingehen! Im Übrigen fanden auch die Begleiter der Schattenlichter, die „Stolz und Vorurteil“ weder als Buch noch als Film kannten, die Aufführung sehenswert. Sie ist also nicht nur was für hartgesottene Fans und Insider.

Wer die Bühnenfassung der Schattenlichter mit seiner eigenen Theatergruppe aufführen möchte, findet Infos dazu hier.

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Selten so gelacht – und nachgedacht!

Selten so gelacht – und nachgedacht!

Aus: Paulus Blätter (Mai/Juni 2023)
Autor: Detlev Riemer

Mit ihrem Stück „Extrawurst“ haben die Schattenlichter Kabarett vom Feinsten geboten. Eine Pointe jagte die andere. Allerdings verwandelte sich meine Heiterkeit im Laufe des Abends in Nachdenklichkeit, und die hält immer noch an. Ein Tennisclub mit Cem als einzigem türkischen Mitglied wird zum Abbild unserer Gesellschaft; in der Diskussion des Vereins geht es um unsere Befähigung zur Toleranz. Der Streit entzündet sich an religiösen, kulturellen, ethischen, auch schlicht mitmenschlichen Themen und wird mit zunehmender Heftigkeit geführt – trotz der wiederholten Warnung: „Sarkasmus ist der Weg zur Hölle.“

Vereinsmitglied Micha bildet sich ein, ein neutraler Schiedsrichter zu sein, weil er als Atheist über den Religionen zu stehen glaubt. Justin Becker als Darsteller hat seine Rolle so überzeugend gespielt, dass ich mich in mein Vorleben in der DDR zurückversetzt glaubte; die längst verdaute Bitterkeit von damals kam in mir wieder hoch. Dabei war auch Micha nicht frei von Widersprüchen, wie überhaupt alle Rollen nicht in ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema passten. Sie haben es doch alle gut nur gemeint – jeder auf seine Weise und mit immer wieder neuen logischen oder skurrilen, bierernsten oder komischen Argumenten!

Was kam bei diesem Streit der Kulturen, Religionen, Weltanschauungen am Ende heraus? Vereinsvorsitzende Charlotte (Carola-Kristina Lane) stand schließlich allein auf weiter Flur – ein Tennisverein ohne Spieler. Von der einst glorreichen Vereinsgeschichte zeugte nur noch die Dekoration – Vitrinen voller Pokale. (Wo haben die Schattenlichter nur die vielen Requisiten aufgetrieben?)

Bleibt noch die Frage: Hätte man für die Rolle des Cem auch einen „echten“ Türken engagieren können?

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„Die beste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit!“

„Die beste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit!“

Vor 23 Jahren, im März 2000, spielten die Schattenlichter „Biedermann und die Brandstifter“. Die damalige Frau Biedermann und drei weitere Schattenlichter sahen sich heute im Schlosspark-Theater das wohl bekannteste Stück von Max Frisch an.

Herr Biedermann – im Schlosspark-Theater von Theaterchef Dieter Hallervorden höchstpersönlich gespielt – schwadroniert endlos über die Gefahren des Feuers und über Brandstifter, doch nimmt er gutmütig und vertrauensselig den Ringer Schmitz (Georgios Tsivanoglou) und seinen zwielichtigen Kumpan Eisenring (Mario Ramos) bei sich auf. Auch als sie den gesamten Dachboden mit Benzinfässern vollstellen, erkennt er die Gefahr nicht, sondern hilft seinen vermeintlichen Freunden sogar beim Vermessen der Zündschnur. Er findet immer neue Ausreden und Rechtfertigungen – und schließlich händigt er den Brandstiftern selbst die Streichhölzer aus.

„Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Die beste aber ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand!“, sagt Eisenring – und Biedermann pflichtet ihm auch noch bei, ohne das Gesagte auf sich zu beziehen.

Auch wenn Frisch vor 65 Jahren vermutlich andere Brandstifter vor Augen hatte, lässt sich das Stück heute problemlos auf aktuelle Situationen und Menschen übertragen. Den Schattenlichtern gefielen sowohl die überzeugende Darbietung der Charakterrollen als auch das Bühnenbild, das sogar Schattenspielelemente enthielt. Statt die gesamte Bühne zu nutzen, wurde in die Bühne ein Biedermann-Häuschen gebaut, das das Kleine und Beschränkte des Biedermannschen Geistes auch optisch zum Ausdruck bringt.

Ein extrem kurzweiliger Abend!

Nach rund sechs Wochen voller Brandstifterei läuft das Stück am morgigen Sonntag um 18 Uhr zum letzten Mal.

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