Auch keine Lösung

Auch keine Lösung

Ist eine Lesung auch eine Form von Theater? Wenn Harald Martenstein liest, ja! Und so bezieht sich der Theater-Tipp des Monats Oktober auf den heutigen Auftritt Martensteins in den Wühlmäusen am Theodor-Heuss-Platz.

Nur das Bühnenbild ist schlicht. Martensteins Texte hingegen sind durchdacht, witzig und intelligent — kurz: niveauvolle Unterhaltung. „Nettsein ist auch keine Lösung“ ist der Titel der neusten Kolumnensammlung von Martenstein, aus der er einige Passagen zum Besten gibt. Nicht nur die Titelgeschichte, die sich um Katzen dreht, die Hitler ähnlich sehen, ist urkomisch. Auch die — zum Teil aus früheren Werken stammenden — Kolumnen zu den Themen Feminismus/Gendern, Deutsche im Ausland, Kindererziehung, technischer Fortschritt und Politik kommen beim dauerkichernden Publikum gut an. Nicht zuletzt kann Martenstein — Jahrgang 1953 — auch dem Altwerden Positives abgewinnen: „Seit ich nicht mehr gut höre, sagt man mir ständig, was für ein guter Zuhörer ich bin.“ Den Höhepunkt bilden die Betrachtungen von Stilblüten, wenn Martenstein beispielsweise die Worte Flüchtling und Geflüchteter untersucht und bizarre Wortalternativen für „ling“-Wörter wie Sprössling, Zwilling und Säugling ersinnt.

Sympathisch und unterhaltsam sind auch Martensteins kurze, spontan wirkende Überleitungen zu den einzelnen Texten. Sie lassen sich leicht auf einen Nenner bringen: Martenstein erfindet nichts, er beobachtet, vergleicht und hinterfragt — und er schreibt überhaupt nur, wenn ihm ein Abgabetermin im Nacken sitzt.

Wer Lust auf weitere Auseinandersetzung mit diesem Autor hat: Harald Martenstein schreibt regelmäßig Kolumnen für den Tagesspiegel und die Zeit. Im morgigen Tagesspiegel (9.10.2016) ist auch eine zu finden. Auch als Autor von Romanen ist Martenstein zu empfehlen. So schreibt er 2015 in „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ seine Vision einer alternativen deutschen Wendegeschichte auf, in der nämlich die Bundesrepublik von der DDR geschluckt wurde, nachdem die DDR mit Erdölfunden groß herausgekommen war. Auch dieser Plot hätte das Zeug dafür, auf die Bühne gebracht zu werden!

Termine für weitere Lesungen in ganz Deutschland am besten googeln, z. B. Mo., 10.10.2016, in Kiel, Di., 11.10.2016, in Hamburg (jeweils Lesung aus „Nettsein ist auch keine Lösung“) und Fr., 27.1.2017, in Berlin (Lesung aus „Im Kino“).

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.