Immer wieder was Neues

Immer wieder was Neues

Das fünfte Türchen des Schattenlichter-Theaterkalenders im Dezember öffnet sich wieder im GRIPS Theater. „Wenn man 50 Mal das Musical Linie 1 gesehen hat, gibt es denn dann überhaupt noch etwas Neues?“, wird das GRIPS-besessene Schattenlicht immer wieder gefragt. Die Antwort ist einfach: Ja!

In der gestrigen 1.757. Vorführung des Berlin-Musicals spielten vier neue Ensemblemitglieder mit. Wenn mehr als ein Drittel des Ensembles neu ist, verleiht dies vielen der rund 100 verkörperten Charaktere und Typen einen neuen Anstrich. Allen voran Amelie Köder als neues Wessimädchen: Blauäugig und schwanger trifft sie 1986 in der Mauerstadt am Bahnhof Zoo ein, um ihren Kindsvater zu finden, und noch keine ihrer Vorgängerinnen hat dem Mädchen eine so intensive Mimik verliehen — von bass erstaunt über todtraurig bis hin zu hellauf begeistert. Toll! Auch ihr „Märchenprinz“ Davide Brizzi gibt seinen Rollen eine neue Note: Den „Märchenprinz“ gibt er als verwöhnten Schönling, der wie ein Kind schmollt, wenn er nicht bekommt, was er möchte („Manno!“). Und den ekligen „Mondo“ bereichert er um eine wahnsinnig-debile Lache. Ein Hauptgewinn ist Patrik Cieslik, der es als „Bambi“ von Anfang an zwischen dem Wessimädchen und sich selbst knistern lässt und auch stimmlich überzeugt. Zwar ist es nicht leicht, bei dem zentralen Linie-1-Lied „Fahr mal wieder U-Bahn“ an die Urbesetzung des Thomas Ahrens heranzureichen, aber Cieslik schafft es, den Saal zum Toben zu bringen. Der vierte Neuzugang, Frederic Phung, schafft es wie kein anderer seiner Vorgänger, den „Zielinski“ als unterwürfigen Schleimer zu positionieren und den „Jungen in Hut und Mantel“ als besonders liebesbedürftig und schizophren darzustellen. Chapeau!

Bei allem Lob der Neuen dürfen auch die Alten im Ensemble nicht vergessen werden: Das einmalige Pennerteam um Dietrich Lehmann, der noch keine der 1.757 Vorführungen verpasst hat, Christian Giese, Jens Mondalski und Laura Leyh möchte man auch für die nächsten 30 Jahre nicht missen! Und eins muss man den Linie-1-Urgesteinen lassen: Sie können wirklich besser berlinern als mancher Neuzugang — und damit das „Miljöh“ auf der Linie 1 auch glaubwürdiger verkörpern.

Neu ist auch die Mikrofonanlage, was dem Stammpublikum nicht unbedingt Freude macht: Denn durch die schnurlosen Mikrofone fällt jetzt bei „Wenn die Liebe erwacht“ die wunderbare Kabelchoreografie weg. Es war immer höchst beeindruckend, anzusehen, wie „Bambi“ und „Kleister“ in ihrem fetzigen Lied die Mikrofonkabel erst aufs Krasseste verknoteten, um es bis zum Liedende doch irgendwie zu schaffen, das Knäuel wieder aufzulösen. Auch die Neuintonierung dieses Liedes ist zumindest diskussionswürdig. Zwar ist die Melodie jetzt moderner. Aber wie fänden wir es, wenn Grönemeyer „Männer“ plötzlich modernisieren würde, nur weil die 80er vorbei sind?

Generell wirkt das Zusammenspiel mit der neuen Tontechnik noch nicht perfekt abgestimmt. Weniger textfeste Zuschauer bemängelten, nicht alle Liedtexte gut verstanden zu haben. Auch hier ist man im Vorteil, wenn man Linie 1 50 Male gesehen hat und jederzeit als Souffleuse herhalten könnte!
Wer seine Linie-1-Erfahrung ausweiten möchte, hat im Januar massenhaft Gelegenheit dazu: am 3., 4., 5., 28. und 31.1.2017 jeweils um 19:30 Uhr.

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.