Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Wer ist Berlins Idealbesetzung für Wilhelm Voigt?

Überlegt mal, welcher bekannte zeitgenössische Filmschauspieler geeignet wäre, um im Theater einen überzeugenden Schuster Wilhelm Voigt bzw. den „Hauptmann von Köpenick“ zu spielen? Wer kann anständig berlinern und schlaksige, einfache Unterschichttypen mit Herz spielen, die zwar eigentlich die Dauerloser sind, aber moralisch die Nase vorn haben?
Genau, da fällt nicht nur den Schattenlichtern zuerst Milan Peschel ein, sondern auch dem Deutschen Theater. Am 21. Dezember war Premiere von Carl Zuckmayers berühmtesten Stück, und gestern haben es auch vier Schattenlichter im ausverkauften Haus gesehen.

Wie erwartet, ist Milan Peschel die Idealbesetzung: Er rebelliert erst zaghaft, dann immer massiver gegen die Engstirnigkeit preußischer Beamter, bis er sie schließlich mit ihren eigenen Waffen schlägt, indem er ihre Obrigkeitshörigkeit ausnutzt. Das schafft er mit einem umfangreichen Repertoire — von verständnislos und dümmlich über schmollend und verzweifelt bis hin zu gewitzt und erhaben.

Die Inszenierung legt das Stück allerdings nicht zu seiner Originalzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, sondern legt sich nicht fest. Manche Dialoge sind höchst aktuell und beziehen sich auf Menschen von heute, andere wiederum sind nur im alten Preußen denkbar. Offenbar soll so die Zeitlosigkeit des Stücks gezeigt werden.

Einige Aktualisierungen sind dabei witzig und originell geraten, beispielsweise wenn sich Voigts Kumpanen ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen verdienen. Andere Szenen hingegen verlieren durch die Zeitlosigkeit an Stärke, beispielsweise der Tod der jungen kranken Untermieterin von Voigts Schwester, der die Verhältnisse im Berlin der 1900er-Jahre zeigt, aber nicht in der heutigen Großstadt. Auch die Militärerziehung im preußischen Knast, die Voigt die Kenntnisse vermittelte, die er benötigte, um seine Köpenickiade durchziehen zu können, ist in einem heutigen Gefängnis nicht denkbar.

Auch das Bühnenbild legt sich nicht fest: Die dargestellten Häuserkulissen sind teils modern und als das DB-Gebäude am Potsdamer Platz und die heruntergekommene Rentenversicherung in Wilmersdorf zu identifizieren, andere sind Gründerzeitfassaden oder DDR-Platten, und wieder andere sind phantasievoll-irreal wie die tulpenverzierte Wohnung von Voigts Schwester und ihrem Mann, die man als Sehnsuchtsort von Voigt interpretieren kann, als heile Welt. Das kann man machen, aber wir können uns auch bessere Lösungen vorstellen.

So sehr sich die Schattenlichter eine eindeutigere zeitliche Festlegung gewünscht hätten, so gut gefiel ihnen dennoch die Beweglichkeit des Bühnenbilds. Die Häuserfassaden werden ständig — oft direkt von den Schauspielern — über die ansonsten leere Bühne geschoben; sie werden zu engen Gässchen oder weiten Plätzen kombiniert, und im Inneren der Gebäude befinden sich die Wohnungen, Läden, Absteigen und Amtsstuben.
Während der Szenenwechsel entstehen keine Pausen, sondern hinter den Kulissen wird weitergespielt, und eine Kamera projiziert das Gespielte auf die Hausfassaden. Was leicht wirkt, muss eine Wahnsinnslogitik in sich haben!

Einige Kostümideen gehören hier noch beschrieben, da sie dem Publikum ausnehmend gut gefielen:

– Die für das Geschehen zentrale Uniform schillert und glänzt in Blau, Rot, Silber und Gold.

– Die Bewohner der Tulpenwohnung tragen Kleidung mit ebensolchem Tulpenmuster.

– Und für die Darstellung der dicken Bürgermeisterfamilie schlüpfen drei normal gebaute Schauspieler in gruselige Fettmachkostüme. So lustig!

Mit 140 Minuten ohne Pause ist das Stück recht lang geraten. Für unseren Geschmack hätten die gefilmten Szenen kürzer ausfallen können, so dass man die gewonnenen 20 Minuten für eine Pause hätte nutzen können. Das Publikum hätte sicherlich gerne die Zeit genutzt, in der Wilhelm Voigt in der Stückmitte wieder einmal zehn Jahre „sitzen“ muss, um selbst mal kurz nicht zu sitzen, sondern sich in dem hübschen Theatergebäude die Beine zu vertreten und sich über das Gesehene zu unterhalten. Theater lebt schließlich auch davon, dass das Publikum darüber spricht.

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.