Einfach mal die Stühle umstellen

Einfach mal die Stühle umstellen

Eine veränderte Perspektive tut immer gut: Das bewies heute die Jugendtheatergruppe der Wilmersdorfer Auen-Gemeinde mit ihrer Aufführung „Der Besuch“, angelehnt an Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Dieses vermutlich berühmteste Theaterstück eines Schweizer Autors haben die Schattenlichter schon mehrfach gesehen — auf der eigenen Bühne 1989 (drei Schattenlichter von damals sind heute noch in der Gruppe), später im Renassance-Theater, im Schlosspark-Theater und als Schüleraufführung.

Aber erst die Jugendtheatergruppe der Auen-Gemeinde kam auf die Idee, das Publikum rund um einen zentralen Platz zu setzen, auf dem sich das skurrile Kleinstadtgeschehen zwischen Krämerladen und Gasthof abspielt. So fühlt sich der Zuschauer nicht nur als Beobachter, sondern vor allem als Beteiligter, als mitschuldig werdender Bürger der Stadt Güllen.

Das Stück handelt von einer betagten Millionärin, die als mittellose, schwangere 17-Jährige aus dem Ort vertrieben worden war, im Ausland reich wurde und nach 50 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um sich an den Menschen zu rächen, die ihr das Leben in Güllen schwergemacht hatten.

Die Handlung der heutigen Aufführung orientiert sich an einer Verfilmung aus dem Jahr 1964, die ebenfalls nur kurz „Der Besuch“ heißt. Auch die Namen der Charaktere lehnen die Wilmersdorfer an den Film an. So heißt Alfred Ill, die große Jugendliebe der heute alten Dame, Sergej Miller. Auch das Ende ähnelt dem der Filmhandlung: Wie Wikipedia verrät, wollte man auch in der Filmproduktion Alfred Ill von den „lieben“ Mitbürgern aus Geldgier umbringen lassen, aber der Produzent, die „20th Century Fox“, bestand auf einem „Happy End“. Was daran „Happy“ ist, muss uns zwar erst noch erklärt werden, aber ein kluges Ende ist es allemal.

Die 16 Jugendlichen meistern das große Stück sehr gut und schaffen es mehrfach, dass sich echte Beklommenheit und Betroffenheit im Publikum breitmachen. Immer wieder rufen Szenen zugleich Lachen und Grauen hervor — genau so, wie der Autor es gewollt hat.

Klug ist es vom Theater-Team der Auen-Gemeinde, die eigentlich alten Bürger der Stadt sowie ihre Besucherin nicht so alt zu machen, wie sie vom Autor erdacht wurden, sondern im mittleren, berufstätigen Alter anzusiedeln. So liegt das Geschehen, an das sich die Besucherin erinnert, nur 20 Jahre zurück. Das heißt, dass die jugendlichen Schauspieler eher 40-Jährige als 70-Jährige spielen müssen, was ihnen naturgemäß leichterfällt. Auch ist die alte Dame doppelt besetzt; die beiden Schauspielerinnen treten abwechselnd auf, bis die alte Dame schließlich so viel Macht gewonnen hat, dass beide Darstellerinnen zeitgleich und mit doppelter Wucht erscheinen. Darauf muss man erst mal kommen!

Die letzte der drei Aufführungen findet am morgigen Sonntag, 21.1., um 19 Uhr statt. Acht Schattenlichter sagen „Hingehen!“ und danken der Auen-Gemeinde für einen kurzweiligen Abend.

Großer Auen-Saal, Wilhelmsaue 118 a, Eintritt frei (Spende erbeten).

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.