Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Sobald man eine Schule betritt, kann man etwas lernen. Das stimmt heute Abend auf jeden Fall — und morgen Abend ist gleich noch einmal die Gelegenheit dazu. Denn gerade zeigt der Wahlpflichtfach-Kurs „Darstellendes Spiel“ des Steglitzer Paulsen-Gymnasiums das Stück „Vineta“.

Lernen kann man zum einem vieles über den Autor dieses Stücks, den zumindest die beiden heute anwesenden Schattenlichter nicht kannten: Jura Soyfer. Wie wir erfahren, war er ein Arbeiterdichter, der in den 1930er-Jahren in Wien lebte und Gedichte sowie eine Reihe von satirischen Theaterstücken schrieb — darunter „Vineta“. Soyfers Stücke wurden in Wiener Caféhäusern aufgeführt, die maximal 49 Sitzplätze hatten. Ab 50 Plätzen galt das Zensurgesetz, und da zumindest „Vineta“ kein unpolitisches Stück ist, lässt sich nachvollziehen, warum Soyfer sich in der damaligen Zeit nicht der Zensur aussetzen wollte.

Leider reichte diese Vorsichtsmaßnahme nicht aus: Im März 1938 wurde Soyfer an der Schweizer Grenze verhaftet. Die österreichische Polizei übergab ihn der SS, die ihn ins Konzentrationslager Dachau brachte. Von dort wurde er ins KZ Buchenwald geschickt, wo er im Februar 1939 starb.
Lernen kann man auch allerlei über die Stadt Vineta, die der Sage nach wegen der Verschwendungssucht und wegen der mangelnden Demut ihrer Bewohner vom Meer verschluckt wurde. Dies soll sich — laut Wikipedia — im Mittelalter an der pommerschen Küste zugetragen haben. In Soyfers Stück erzählt ein versoffener alter Seemann die Geschichte, wie er selbst als junger Taucher auf den Meeresgrund sank und unbeabsichtigt in Vineta landete. Das Stück springt in die Vergangenheit; ab nun ist die Szenerie in blaues Licht getaucht, und fischartige Wesen mit Schwimmbrillen und Seifenblasen bestimmen das Bild.

Bis dahin gibt es nichts, was in der Nazizeit hätte zensiert werden müssen. Aber nun geht’s los: Denn die Bewohner Vinetas zeichnen sich allesamt durch sinnloses Tun und durch eine unsagbare Gleichgültigkeit aus. So regelt ein Polizist dauertrillerpfeifend den nicht verhandenen Verkehr, eine Frau wartet auf ein Boot, das „gestern“ gefahren ist, und ein Beamter stempelt sinnlos Papiere. „Wenn Sie morgen nicht kommen können, dann kommen Sie gestern, so zwischen fünf und zwei!“, heißt es. Der tauchende Seemann versucht alles, um die Gleichgültigen aufzurütteln, aber er scheitert an ihrer Willenlosigkeit. Hier Parallelen zur damaligen Gesellschaft und zu den damaligen Behörden zu ziehen, fällt nicht schwer.

Ein wirklich interessanter Theaterabend — kurzweilig und mit nur einer Stunde auch sehr kurz! „Vineta“, am morgigen Donnerstag, 25.1., um 19:30 Uhr; der Eintritt beträgt 4,- Euro, ermäßigt die Hälfte. Angst vor Ausverkauf muss man nicht haben; die Aula des ehrwürdigen Gebäudes ist riesig.

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.