Eine ganz besondere U-Bahn-Fahrt

Eine ganz besondere U-Bahn-Fahrt

Das vom GRIPS Theater auf Instagram gepostete Bild

Eine ganz besondere Vorstellung konnten vier Schattenlichter gestern im GRIPS Theater erleben: Das Erfolgsmusical „Linie 1“, sonst mit großer Regelmäßigkeit auf dem Spielplan, hatte pandemiebedingt seit Februar 2020 pausieren müssen: Denn auch als nach Ende der beiden Lockdowns die Theater wieder öffnen durften, war „Linie 1“ nicht bühnengeeignet, da das Stückensemble zu groß ist.

Gestern nun also war die Durststrecke vorüber, Impfungen und Schnelltests sei Dank. Und so konnte das Team dem erwartungsvollen die 1.934. Vorführung von „Linie 1“ präsentieren.

Wie groß die Vorfreude auch im Theaterteam war, ließ sich auch auf Instagram beobachten: Dort postete das GRIPS seit Tagen Bildausschnitte aus Details von „Linie 1“-Requisiten – beispielsweise von Bijou, einem ausgestopften Handtaschenhündchen mit Perlenkette. Für genaue Beobachter war dann allerdings überraschend, dass Bijou gestern ohne Kette auftrat.

Auch wenn man ein Stück ungefähr zum 100. Mal sieht, gibt es immer wieder Überraschungen durch gewollte oder zufällige Veränderungen: Da das Stück 1986 spielt und dies nun schon 35 Jahre zurückliegt, wurde nun ein Intro vorangestellt, das die jüngeren oder nicht aus West-Berlin stammenden Theatergäste in die damalige Zeit einführt. Die älteren Schattenlichter sind Zeitzeugen, aber für die jüngeren war das Intro nützlich.

Dies war ganz eindeutig eine gewollte Veränderung, während andere auch für die betroffenen Schauspieler überraschend waren: Eine sonst mit Präzision geworfene Bierdose landete diesmal nicht in der Hand eines Schauspielers, sondern auf dem legendären Dach von „Bouletten-Trudes“ Kiosk. Und einem rassistisch beleidigten U-Bahn-Fahrer wurde nicht nur – wie sonst – seine Zigarette in einer Cola-Dose versenkt, sondern auch noch weitere Zigaretten aus der Hand geschlagen. Details, die dem Neuzuschauer nicht auffallen, da sie perfekt überspielt werden, aber die alten Hasen im Publikum erfreuen!

Abgesehen von einigen Neubesetzungen war das Ensemble dasselbe wie vor Pandemiebeginn. Aber auch einige der gewohnten Gesichter haben sich verändert: Eine Wilmersdorfer Witwe trägt nun Vollbart, und eine Immobilienkönigin legt ihre Perücke ab und zeigt einen flotten silbergrauen Kurzhaarschnitt. Nur auf Dietrich Lehmann ist Verlass: Inzwischen 82 Jahre alt, kann er Bierdosen so gut aufstechen, dass sie in hohem Bogen spritzen; da merkt man die Routine aus 1.934 Vorführungen. Lehmann singt seinen Songpart als „Hermann“ mit unveränderter Stimmstärke und schafft es, als Arbeiter von einem niedrigen Werkzeugkasten so elegant aufzustehen, dass manch 60-Jähriger neidisch sein dürfte.

Das Stück wurde wieder mal ein wenig gekürzt, weil dem Publikum zwar 1986 eine vierstündige Stückdauer zugetraut wurde, aber nicht im Jahr 2021. Daher müssen wir jetzt auf die japanische Übersetzung einer Stadtführung verzichten. Aber alte Hasen können sich mit der DVD des Stückmitschnitts trösten – da ist die längere alte Version dauerhaft dokumentiert.

Auch einige coronabedingte Änderungen gab es: So bleibt die erste Sitzreihe frei, die Bitte ans Publikum, noch enger zusammenzurücken, enfällt, und in der „Linie 1“ muss ein irrsinniger Weltverbesserer darauf verzichten, Flugblätter ans Publikum zu verteilen. Das Einlassprozedere wird sehr korrekt gehandhabt, so dass das Gesundheitsamt seine Freude hätte und sich das Publikum über Corona keine Gedanken machen muss.

Für die heutige Vorstellung um 19:30 Uhr sind noch Tickets zu haben; das Gleiche gilt für Mittwoch, den 8. Dezember. Die Vorführungen am 10., 11. und 12. Dezember sind ausverkauft. Die Karten sind zu Vor-Corona-Preisen zu haben, damit – so der Hinweis auf der Webseite – Theater weiterhin für alle bezahlbar ist. Man kann beim Onlinekauf eine Spende leisten, um das Theater angesichts der coronabedingt geringeren Sitzplatzzahl zu unterstützen.

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Autor: Elke Brumm

Elke Brumm ist das dienstälteste Schattenlicht. Bei der allerersten Aufführung im Weihnachtsgottesdienst 1985 in der Pauluskirche war sie noch Zuschauerin, aber schon beim zweiten Stück war sie aktiv dabei - und ist es bis heute geblieben. Neben den spielerischen Aktivitäten ist Elke Brumm das organisatorische Rückgrat der Schattenlichter; die studierte Theaterwissenschaftlerin und Germanistin (FU Berlin) macht für die Schattenlichter auch die Pressearbeit und die Programmhefte. Seit 2015 schreibt sie ungefähr einmal monatlich einen Theater-Tipp für den Freundeskreis der Schattenlichter, denn da die Schattenlichter immer nur im Februar spielen, muss man schließlich auch im restlichen Jahr wissen, wo man kurzweilige und inspirierende Theaterabende verbringen kann.

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