Ein humorvoller Rückblick

Ein humorvoller Rückblick

Der letzte Theater-Tipp des Jahres 2016 empfiehlt Euch den „Jahresrückblick 2016 mit dem Jahresendzeitteam“, der vom 8. Dezember bis zum 8. Januar im Mehringhoftheater und anschließend auf einer der Kudamm-Bühnen zu sehen ist.

So ein Team von fünf Kabarettisten (Evers, Bjerg, Jungmann, Heesch, Maurenbrecher) hat den Vorteil, dass für jeden Humor etwas dabei ist — ob man nun lieber über Trumps Feinfühligkeit, Gaucks Pläne für den Ruhestand, das Zusammenspiel zwischen Merkel und Seehofer, den Brexit, Pokémons oder das Bürgeramt lacht. Zumindest das Silvesterpublikum konnte sich kaum einkriegen und verkürzte sich die Zeit bis Mitternacht aufs Angenehmste.

In diesem Sinne wünschen die Schattenlichter ihren Freundinnen und Freunden, ihren Mitgliedern, Ehemaligen und Weggefährten der letzten 31 Jahre ein lustiges und gesundes Jahr 2017!

Infos teilen:

Immer wieder was Neues

Immer wieder was Neues

Das fünfte Türchen des Schattenlichter-Theaterkalenders im Dezember öffnet sich wieder im GRIPS Theater. „Wenn man 50 Mal das Musical Linie 1 gesehen hat, gibt es denn dann überhaupt noch etwas Neues?“, wird das GRIPS-besessene Schattenlicht immer wieder gefragt. Die Antwort ist einfach: Ja!

In der gestrigen 1.757. Vorführung des Berlin-Musicals spielten vier neue Ensemblemitglieder mit. Wenn mehr als ein Drittel des Ensembles neu ist, verleiht dies vielen der rund 100 verkörperten Charaktere und Typen einen neuen Anstrich. Allen voran Amelie Köder als neues Wessimädchen: Blauäugig und schwanger trifft sie 1986 in der Mauerstadt am Bahnhof Zoo ein, um ihren Kindsvater zu finden, und noch keine ihrer Vorgängerinnen hat dem Mädchen eine so intensive Mimik verliehen — von bass erstaunt über todtraurig bis hin zu hellauf begeistert. Toll! Auch ihr „Märchenprinz“ Davide Brizzi gibt seinen Rollen eine neue Note: Den „Märchenprinz“ gibt er als verwöhnten Schönling, der wie ein Kind schmollt, wenn er nicht bekommt, was er möchte („Manno!“). Und den ekligen „Mondo“ bereichert er um eine wahnsinnig-debile Lache. Ein Hauptgewinn ist Patrik Cieslik, der es als „Bambi“ von Anfang an zwischen dem Wessimädchen und sich selbst knistern lässt und auch stimmlich überzeugt. Zwar ist es nicht leicht, bei dem zentralen Linie-1-Lied „Fahr mal wieder U-Bahn“ an die Urbesetzung des Thomas Ahrens heranzureichen, aber Cieslik schafft es, den Saal zum Toben zu bringen. Der vierte Neuzugang, Frederic Phung, schafft es wie kein anderer seiner Vorgänger, den „Zielinski“ als unterwürfigen Schleimer zu positionieren und den „Jungen in Hut und Mantel“ als besonders liebesbedürftig und schizophren darzustellen. Chapeau!

Bei allem Lob der Neuen dürfen auch die Alten im Ensemble nicht vergessen werden: Das einmalige Pennerteam um Dietrich Lehmann, der noch keine der 1.757 Vorführungen verpasst hat, Christian Giese, Jens Mondalski und Laura Leyh möchte man auch für die nächsten 30 Jahre nicht missen! Und eins muss man den Linie-1-Urgesteinen lassen: Sie können wirklich besser berlinern als mancher Neuzugang — und damit das „Miljöh“ auf der Linie 1 auch glaubwürdiger verkörpern.

Neu ist auch die Mikrofonanlage, was dem Stammpublikum nicht unbedingt Freude macht: Denn durch die schnurlosen Mikrofone fällt jetzt bei „Wenn die Liebe erwacht“ die wunderbare Kabelchoreografie weg. Es war immer höchst beeindruckend, anzusehen, wie „Bambi“ und „Kleister“ in ihrem fetzigen Lied die Mikrofonkabel erst aufs Krasseste verknoteten, um es bis zum Liedende doch irgendwie zu schaffen, das Knäuel wieder aufzulösen. Auch die Neuintonierung dieses Liedes ist zumindest diskussionswürdig. Zwar ist die Melodie jetzt moderner. Aber wie fänden wir es, wenn Grönemeyer „Männer“ plötzlich modernisieren würde, nur weil die 80er vorbei sind?

Generell wirkt das Zusammenspiel mit der neuen Tontechnik noch nicht perfekt abgestimmt. Weniger textfeste Zuschauer bemängelten, nicht alle Liedtexte gut verstanden zu haben. Auch hier ist man im Vorteil, wenn man Linie 1 50 Male gesehen hat und jederzeit als Souffleuse herhalten könnte!
Wer seine Linie-1-Erfahrung ausweiten möchte, hat im Januar massenhaft Gelegenheit dazu: am 3., 4., 5., 28. und 31.1.2017 jeweils um 19:30 Uhr.

Infos teilen:

90 Minuten Seitenstechen

90 Minuten Seitenstechen

Das vierte Türchen des Schattenlichter-Theaterkalenders im Dezember öffnet sich in der Vaganten-Bühne, einem Theater zwischen Zoo und Kudamm, in dem mit nur 103 Sitzplätzen schnell eine familiäre Verbundenheit zwischen den Zuschauern untereinander, aber auch zwischen Zuschauern und Schauspielern entsteht.

„Shakespeares sämtliche Werke in 90 Minuten“ werden versprochen, und was es in jedem Fall gibt, sind 90 Minuten Kurzweil und Lachmuskelbeanspruchung.

Sehr ideenreich bringt die spielfreudige dreiköpfige Männertruppe unter Einsatz verschiedenster Stilmittel das ganze Werk des vor 400 Jahren geborenen Literaten auf die Bühne: Da werden szenische Darstellungen, Verfremdungen, Aktualisierungen, Ortswechsel, Tänze, Fußballfans und Zeitraffer verwendet, und wenn das nicht genügt, wird ein Drama auch mal rückwärts vorgetragen. Reicht die Anzahl der Spielenden auf der Bühne nicht aus, wird auch mal das Publikum zu Hilfe genommen.

Muss man Shakespeares Werke kennen, um dieses Stück zu sehen? Einerseits ist es von Vorteil, bestimmte Handlungen, Charaktere oder Orte wiederzuerkennen und sich über die verrückte Umsetzung zu freuen. Andererseits erfährt man auch so vieles über Shakespeare, zum Beispiel, dass er mehr als 150 Sonette geschrieben hat und dass allen seinen Komödien das gleiche Strickmuster zugrunde liegt: Liebe, Verkleidungen, Verwechslungen, Zwillinge, dramatische Fechtszenen und am Ende jede Menge überraschende Hochzeiten.

Damit schafft es das gutgelaunte Trio, sogar eine extrem unruhige Schulklasse peu à peu in seinen Bann zu ziehen. Wer weiß, vielleicht laden sich die Schüler gerade verschämt ein Shakespeare-E-Book herunter, während wir diesen Tipp verfassen.

Fünf Schattenlichter empfehlen: Hingehen, und zwar gleich am 26., 27. oder 28. Januar 2017!

Infos teilen:

Bedrohlich

Bedrohlich

Das dritte Türchen des Schattenlichter-Adventskalenders öffnet sich im GRIPS-Theater: Vier Schattenlichter besuchen das Stück „Inside IS“, das hier im Herbst 2016 nicht nur seine Premiere, sondern auch seine Uraufführung feierte.

Die dokumentarische Basis für das Stück liefert ein Reisebericht des Journalisten Jürgen Todenhöfer, der gemeinsam mit seinem Sohn die Frage zu beantworten versuchte, warum junge Deutsche zum Islam konvertiert sind und sich radikalisiert haben. Zuerst versuchten Vater und Sohn es mit Internetrecherche; als sie dort nicht genügend Antworten fanden, mit Kontaktaufnahme per E-Mail und Skype, und schließlich begaben sie sich auf eine riskante zehntägige Reise.

Das Theaterstück von Yüksel Yolku, der als erster die Rechte für eine Bühnenfassung von „Inside IS“ erhielt, zeigt die Recherchen und Erlebnisse der Todenhöfers, ergänzt diese durch fiktive Lebensgeschichten und durch Gespräche, die ein Imam im Gefängnis mit jungen Insassen führt.

Das alles geschieht, wie man es im Grips Theater schätzt, in kurzen und kurzweiligen Szenen, authentisch wirkenden Dialogen, stimmungsunterstützender Musik und einem raffinierten Bühnenbild, das schlicht, originell und zugleich ungemein vielseitig ist.

Das sechsköpfige Schauspielerteam um Todenhöfer-Darsteller Christian Giese springt überzeugend von Rolle zu Rolle und von Typ zu Typ. Schauspieler und Stück schaffen es eindrucksvoll, Gewalt und Gefahr, Bedrohung und Überredung, Desorientierung und sogar Hoffnung darzustellen. Da ein solches Stück die jugendlichen (ab 15) und erwachsenen Zuschauer mit gemischten Gefühlen zurücklässt, ist es hilfreich, dass das Grips nach jeder IS-Aufführung eine Publikumsdiskussion anbietet.

Wieder am Sa., 21.12017., 19:30 Uhr, sowie Mo., 23.1., So., 19.2., Mo., 20.2., und Mi., 29.3., jeweils 18 Uhr.

Infos teilen:

Keine Kochgruppe

Keine Kochgruppe

Eine Theatergruppe ist keine Kochgruppe. Daher gehen die Schattenlichter bei ihrer Weihnachtsfeier auch nicht gemeinsam essen, sondern ins Theater. Die Wahl fiel auf das Renaissance-Theater und seine neue Inszenierung „Der Vater“. Das Stück aus der Feder des zeitgenössischen französischen Autors Florian Zeller wurde 2014 in Paris uraufgeführt und postwendend mit dem Prix Molière ausgezeichnet.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Witwer André, dargestellt von Walter Kreye, der zunehmende Anzeichen einer Demenz bei sich feststellen muss. Wie er selbst damit umgeht, aber auch wie seine Umwelt darauf reagiert, ist ergreifend und glaubwürdig dargestellt. Vor allem die psychische Belastung seiner Tochter Anne (Anna Thalbach), die von ihrem Vater statt Dank nur Demütigung erfährt, geht den Zuschauern unter die Haut und ist ausgesprochen sehenswert.

Einzig nicht zu verstehen ist, warum das Renaissance-Theater die Inszenierung von Guntbert Warns mit den Worten bewirbt: „Das klingt nach einem traurigen Theaterabend. Das Gegenteil ist der Fall. Die komödiantische Darstellung …“ Eine solche Verharmlosung führt das – ernste, betroffene und allenfalls einmal schmunzelnde — Publikum in die Irre. Und auch die seriöse Inszenierung hat so eine Fehldarstellung nicht verdient.

Die Schattenlichter empfehlen: Unbedingt hingehen, aber auf keinen Fall aufgrund der Ankündigung den mitkommenden Freunden einen heiteren Theaterabend versprechen!

Wieder am Sa., 10.12.2016, 20 Uhr, und So., 11.12.2016, 18 Uhr.

Infos teilen:

Ein Adventskalender mit sechs Türchen

Ein Adventskalender mit sechs Türchen

Der Dezember ist für Leser unserer Theater-Tipps wie ein Adventskalender: Ständig geht ein Türchen auf, und ein neuer Tipp erscheint. Wie es aussieht, wird es im Dezember ganze sechs Tipps geben!

Der erste Ausflug führte vier Schattenlichter am 2. Dezember ins Potsdamer Waschhaus – zur zweiten Solotournee des Puppenspielers Michael Hatzius. Er schlüpft im Laufe des ausgesprochen kurzweiligen Abends in diverse Rollen. Seine Hauptrolle ist die Echse – daher trägt die Tournee auch den Namen „Echstasy“, Hatzius ist „auf Echse“, und im Onlineshop sind „Echstras“ zu haben. Die Echse kommentiert regionale Besonderheiten und politische Absurditäten, gibt Ernährungs- und Lebenstipps und interessiert sich fürs Publikum. Nicht nur ist sie (oder ist es doch Hatzius?) beim Gang durch die Zuschauer witzig und schlagfertig, sondern sie nimmt auch im späteren Verlauf des Programms vieles, was sie im Publikum erfahren hat, wieder auf. Geniale Improvisation!

Im Übrigen hat die Echse den Meteoriteneinschlag überlebt, und sie findet sich unversehens — dem Publikum als Film gezeigt — auf einem verlassenen Feld zwischen umgekippten und zerstörten Dinosauriern und verlassenen und beschmierten Fahrgeschäften wieder. Die originelle Örtlichkeit hierfür fand Hatzius ganz offensichtlich im brachliegenden Spreepark-Gelände, das „Grün Berlin“ hin und wieder zu Führungen öffnet — übrigens auch eine Empfehlung! Auch bei diesen urkomischen Szenen gerät das Publikum in „Echstase“.

In weiteren Rollen zeigt Hatzius andere charakterstarke Figuren wie eine Zecke und ein Huhn — eine gute Gelegenheit, neben vielen lustigen Themen auch auf ernste wie Impfungen und Legebatterien zu sprechen zu kommen.

Am Samstag, 3.12.2016, ist „Echstasy“ in Zossen, am Sonntag, 4.12.2016, in Bad Saarow zu sehen. Mitte Dezember gibt es zudem Kurzauftritte in Berlin. Mehr dazu unter www.michaelhatzius.de und unter www.gruen-berlin.de

Infos teilen:

Die Ankunft des Zugs verzögert sich

Die Ankunft des Zugs verzögert sich

Da die Schattenlichter bereits zwei Stücke von Agatha Christie aufgeführt haben, erwarteten sie mit Spannung die heutige Aufführung der Jugendtheatergruppe der Wilmersdorfer Auengemeinde: Für ihr Bühnenstück „City Night Line“ ließ sich Christine Seeberger von Agatha Christies „Mord im Orient-Express“ inspirieren.

Damit ist der 1934 geschriebene Roman ohne jeden Zweifel im Hier und Jetzt angekommen: Die Deutsche Bahn präsentiert sich, wie wir sie kennen, mit in freundlichem Singsang vorgetragenen Ansagen, dass sich die Ankunftszeit „voraussichtlich um unbestimmte Zeit“ verzögern werde, und mit mittelmäßig effizientem und hin und wieder hilfsbereitem Personal. Gut beobachtet und inszeniert!

Die Kriminalhandlung rund um ein entführtes Baby ist so weit vom „Orient-Express“ entfernt, dass sie auch die Kenner des beliebten Stücks und Films überrascht. Die Jugendlichen spielen engagiert die unterschiedlichen Typen, die auf der abenteuerlichen Fahrt an Bord sind. Besonders hervorzuheben sind die Darstellerinnen einer hochnäsigen Kunstlerin und ihrer ihr ergebenen hochschwangeren Assistentin sowie das junge Dream-Team der Deutschen Bahn. Sehr gelungen ist auch das Rundumprogramm, wie immer liebevoll von Monika Breß und der Erwachsenentheatergruppe der Auengemeinde organisiert: Nach einem kurzweiligen Theatervergnügen noch eine Weile bei Getränken und frisch Gegrilltem zusammenzustehen und sich über das Gesehene auszutauschen – das ist ein perfekter Theaterabend.

Unser Theater-Tipp kann leider nicht darin bestehen, für diese Inszenierung zu werben, denn der Zug ist bereits abgefahren. Aber die nächste Aufführung in der Auengemeinde ist schon in Vorbereitung: Ende April 2017 spielen die Erwachsenen „Die kleine Hexe“, und die Jugendtheatergruppe sorgt für das Rahmenprogramm. Die genauen Termine werden rechtzeitig auf www.auenkirche.de angekündigt.

Infos teilen:

Nicht totzukriegen …

Nicht totzukriegen …

„Er ist wieder da“ war als Buch von Timur Vermes und als Kinofilm erfolgreich. Da überrascht es nicht, dass der Stoff seit Mittwoch in Berlin auch auf der Bühne präsentiert wird. Trotzdem ist das Transferieren auf die Bühne keine einfache Aufgabe. Auch wenn nach der Premiere auch Gegenteiliges zu lesen war – die Schattenlichter finden, dass dem Theater am Kurfürstendamm das Experiment gelungen ist.

Zu Stückbeginn sind viele Dialoge nahe an Buch und Film: Wie Hitler mit staubiger Uniform nach jahrzehntelangem Schlaf in der heutigen Zeit erwacht, am Zeitungskiosk den Völkischen Beobachter vermisst, ungläubig das aktuelle Datum erfährt, immer wieder nach seinem wirklichen Namen gefragt wird, über politische und technisch Neuerungen staunt, ist eine lustige, aber naheliegende Bühnenadaption, die beim Publikum gut ankommt.

Nur über Hitler als Zeitreisenden zu lachen, der über Hundedreck aufsammelnde Hundebesitzer staunt und neue Kommunikationsmittel wie das Fernsehen für seine Propaganda nutzen möchte, reicht natürlich nicht aus. Der Film verleiht seinem Thema den angemessenen Ernst, indem sich der Hitlerdarsteller unters echte Volk mischt und erschreckend viele Personen für seine Anschauung begeistert. Hier muss das Theater andere Wege beschreiten. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Es gelingt dem Kudamm-Theater, Situationen zu schaffen, in denen den Zuschauern die Luft wegbleibt, weil ihnen vor Augen gehalten wird, wie viel Faszination das nationalsozialistische Gedankengut auf Menschen von heute ausüben kann – die ja wissen, wohin das Ganze schon einmal geführt hat!

So findet das Theater geschickt die Balance zwischen witziger Unterhaltung und starkem Tobak. Die Schlussaussage entlässt die Zuschauer bedrückt nach Hause: Selbst wenn man Hitler tötet, ist er wieder da, denn er ist in Deutschland präsent.

Die Schattenlichter empfehlen: Ansehen und mitdiskutieren!

Infos teilen:

Auch keine Lösung

Auch keine Lösung

Ist eine Lesung auch eine Form von Theater? Wenn Harald Martenstein liest, ja! Und so bezieht sich der Theater-Tipp des Monats Oktober auf den heutigen Auftritt Martensteins in den Wühlmäusen am Theodor-Heuss-Platz.

Nur das Bühnenbild ist schlicht. Martensteins Texte hingegen sind durchdacht, witzig und intelligent — kurz: niveauvolle Unterhaltung. „Nettsein ist auch keine Lösung“ ist der Titel der neusten Kolumnensammlung von Martenstein, aus der er einige Passagen zum Besten gibt. Nicht nur die Titelgeschichte, die sich um Katzen dreht, die Hitler ähnlich sehen, ist urkomisch. Auch die — zum Teil aus früheren Werken stammenden — Kolumnen zu den Themen Feminismus/Gendern, Deutsche im Ausland, Kindererziehung, technischer Fortschritt und Politik kommen beim dauerkichernden Publikum gut an. Nicht zuletzt kann Martenstein — Jahrgang 1953 — auch dem Altwerden Positives abgewinnen: „Seit ich nicht mehr gut höre, sagt man mir ständig, was für ein guter Zuhörer ich bin.“ Den Höhepunkt bilden die Betrachtungen von Stilblüten, wenn Martenstein beispielsweise die Worte Flüchtling und Geflüchteter untersucht und bizarre Wortalternativen für „ling“-Wörter wie Sprössling, Zwilling und Säugling ersinnt.

Sympathisch und unterhaltsam sind auch Martensteins kurze, spontan wirkende Überleitungen zu den einzelnen Texten. Sie lassen sich leicht auf einen Nenner bringen: Martenstein erfindet nichts, er beobachtet, vergleicht und hinterfragt — und er schreibt überhaupt nur, wenn ihm ein Abgabetermin im Nacken sitzt.

Wer Lust auf weitere Auseinandersetzung mit diesem Autor hat: Harald Martenstein schreibt regelmäßig Kolumnen für den Tagesspiegel und die Zeit. Im morgigen Tagesspiegel (9.10.2016) ist auch eine zu finden. Auch als Autor von Romanen ist Martenstein zu empfehlen. So schreibt er 2015 in „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ seine Vision einer alternativen deutschen Wendegeschichte auf, in der nämlich die Bundesrepublik von der DDR geschluckt wurde, nachdem die DDR mit Erdölfunden groß herausgekommen war. Auch dieser Plot hätte das Zeug dafür, auf die Bühne gebracht zu werden!

Termine für weitere Lesungen in ganz Deutschland am besten googeln, z. B. Mo., 10.10.2016, in Kiel, Di., 11.10.2016, in Hamburg (jeweils Lesung aus „Nettsein ist auch keine Lösung“) und Fr., 27.1.2017, in Berlin (Lesung aus „Im Kino“).

Infos teilen:

Spannender als ein Krimi

Spannender als ein Krimi

Wer sich im GRIPS-Theater ein Kinder- oder Jugendstück ansehen will, muss nicht zwingend ein Kind oder einen Jugendlichen dabei haben. Denn GRIPS-Theaterstücke sind in der Regel für Erwachsene ebenso spannend wie für die Hauptzielgruppe.

Ein gutes Beispiel dafür ist „Eins auf die Fresse“ — von Rainer Hachfeld geschrieben, dem Bruder des GRIPS-Gründers und langjährigen Theaterchefs Volker Ludwig, schon vor 20 Jahren mit dem Friedrich-Luft-Preis für die beste Aufführung des Jahres 1996 ausgezeichnet und heute erfreulicherweise wieder im Spielplan. Das Stück ist für „Menschen ab 13“ empfohlen. Schon die Startszene des Stücks lässt nicht nur Jugendliche den Atem anhalten: Die Zuschauer finden sich in eine Friedhofskapelle versetzt, da sich Matze, ein Schüler der 8. Klasse, umgebracht hat. Einige Mitschüler bringen den offiziellen Kranz der Klasse vorbei. Sie stehen unter Schock. Schnell deutet sich an, dass sich alle an Matzes Tod mitschuldig fühlen. Und doch: Als einige Tage später ein neuer Schüler in die Klasse kommt, droht sich Matzes Geschichte zu wiederholen, da alte Verhaltensmuster weitergelebt werden. „Eins auf die Fresse“ ist spannender als ein Krimi, die wandlungsfährigen Schauspieler überzeugen, die für das GRIPS üblichen schnellen Szenenwechsel und lebensnahen Dialoge sorgen für Tempo, und das einfache, wandelbare Bühnenbild ist genial. Wie immer gelingt es dem GRIPS, auch anfangs kichernde Schulklassen mit der Inszenierung in seinen Bann zu ziehen.

Für Schulklassen gibt es zahlreiche Vormittagsvorstellungen, für „Menschen ab 13“ Abendvorstellungen am Montag, 28. November 2016 und 16. Januar 2017, um jeweils 18 Uhr, und wer die eigenen vier Wände am liebsten mag, kann das Stück im GRIPS Shop als DVD erwerben.

Infos teilen: